: So war es früher, so soll es sein!
■ Geht es nach dem Willen der Bürger der ehemaligen DDR, so soll sie nichts im Alltag an den realen Sozialismus erinnern. Vor allem die Gründerväter haben ihr Recht, sich auf Straßenschildern verewigt..
So war es früher, so soll es sein! Geht es nach dem Willen der Bürger der ehemaligen DDR, so soll sie nichts im Alltag an den realen Sozialismus erinnern. Vor allem die Gründerväter haben ihr Recht, sich auf Straßenschildern verewigt zu sehen, gründlich verwirkt. Doch wessen Namen nun Straßen und Plätze schmücken sollen, darüber streiten sich die Geister.
VON VERA GASEROW
Der Pförtner im Bezirksamt Berlin-Mitte dämmert sehnsüchtig seinem Feierabend entgegen, doch oben im zweiten Stock wird noch heftig gearbeitet. Türen schlagen, Wortfetzen dringen aus dem Raum: „Lügner!“, schreit jemand, und der Versammlungsleiter bittet „um mehr Sachlichkeit“. Drinnen im Saal 231 sitzen ein Dutzend Parlamentarier des Bezirksparlaments von Berlin-Mitte und die „interessierte Öffentlichkeit“ in Gestalt von rund 20 Personen. Es tagt der „Unterausschuß Straßenumbenennungen“, und es geht um nichts geringeres als die Bewältigung der Vergangenheit — zumindest soweit sie sich auf Straßenschildern und Stadtplänen dokumentiert. Wie überall, quer durch die aufgelöste DDR, müssen auch die Bezirksabgeordneten von Berlin entscheiden, ob Lenin, Marx oder Otto Grotewohl auch weiterhin Straßen schmücken dürfen-können-sollen und ob die Bürger auch künftig in der „Allee der Kosmonauten“ oder der „Ho-Chi-Minh- Straße“ leben werden.
Die Machthaber des Realsozialismus haben sich auf den Straßenschildern ihre Denkmäler gesetzt. Jetzt gilt es mit den Spuren der Vergangenheit aufzuräumen, nur wie und wo und wie radikal? Berlin tut sich schwer mit den neuen Straßennamen und der Bezirk Mitte ganz besonders. Hier geht es schließlich nicht nur um Vergangenheit, hier steht die Zukunft auf dem Spiel. Wird nämlich Berlin Regierungssitz, dann haben die Bezirksparlamentarier hier über die Straßennamen des künftigen Regierungsviertels zu entscheiden. „Es geht um eine Jahrhundertentscheidung“, redet eine aufgeregte Bürgerin den Feierabend-Politikern ins Gewissen, „wollen Sie einem Minister etwa zumuten, in der Hermann-Matern-Straße zu wohnen?“ Der Hauch der Geschichte, er hat die Abgeordneten des Umbenennungsausschusses kalt erwischt.
Rund 1.600 schriftliche Umbenennungsanträge stellten Ost-Berliner Bürger bis zum Herbst letzten Jahres für ihre Stadt. Ginge es nach dem Willen der briefschreibenden Bevölkerung, nicht nur Alt-Stalinisten müßten ihre Straßennamen lassen. Auch Käthe Kolwitz, Heinrich Heine oder Salvador Allende und Rosa Luxemburg müßten weichen — zugunsten etwa solch illustrer Personen wie Axel Springer, Brigitte Bardot oder Donald Duck. Die Abgeordneten von Berlin-Mitte lassen da mehr Umsicht walten. Auf zehn Straßenumbenennungen im künftigen Berliner Stadtzentrum hat sich der Umbenennungsausschuß bereits verständigt und dabei unverfänglich entschieden: Aus dem Marx-Engels- Platz wurde der Lustgarten, und der mit einem Straßennamen geadelte, weil von Westsoldaten erschossene Grenzpolizist Reinhold Huhn soll — ausgerechnet — der Schützenstraße weichen. Aber immerhin: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin durften in Berlins Stadtmitte bleiben. Auch andere Kommunisten und Sozialisten werden die Straßen des künftigen Regierungsviertels mit ihrem Namen schmücken — vorausgesetzt sie überlebten das Jahr 1945 nicht; von den Nazis ermordetete Antifaschisten sollen den geschichtlichen Aufräumarbeiten nicht zum Opfer fallen, darauf hat man sich in Berlin-Mitte geeinigt.
Aber damit ist es mit der Einigkeit auch schon vorbei. Nun geht es auf der abendlichen Sitzung ans Eingemachte, an die jüngste Geschichte, an die Gründerfiguren der DDR. Es geht zum Beispiel um Wilhelm Pieck, den ersten Präsidenten der DDR. Ganzen FDJ-Scharen war er der gütige, väterliche alte Herr. Andere schimpfen ihn „einen üblen Stalinisten“. Darf so jemand einen Straßennamen haben? „Auch viel Gutes hat der Pieck getan!“ Ein alter PDS- Abgeordneter nähert sich bedrohlich dem Bluthochdruck. Und „das mit Moskau“ — wo Pieck schweigend zusah, wie Stalin seine Genossen im Gulag verschwinden ließ oder an die Nazis auslieferte — das sei ja gar nicht erwiesen. „Ein Lügner und Betrüger war der Pieck!“, schreit eine Anwohnerin der Pieckstraße dazwischen. Jedes Mal sträubt sich ihr angeblich die Feder, „wenn ich meine Adresse schreiben muß“. „Wollen Sie 40 Jahre Geschichte ausmerzen?“ Ein alternder Historiker springt für Wilhelm Pieck in die Bresche. Nach eineinhalbstündiger Diskussion wird die Pieck-Diskussion wegen Uneinigkeit vertagt. Die drei Abgeordneten von Bündnis 90 plädieren mehrheitlich für den Erhalt der Pieckstraße, „weil wir mit den Brüchen der Geschichte leben sollten“ und die 40 Jahre DDR „nicht völlig ausradiert werden dürfen“. Und SPD- und CDU-Fraktion haben sich ohnehin längst festgelegt: Der ehemalige DDR-Präsident, er muß runter vom Straßenschild. Bloß was kommt dann drauf? Elsaß und Lothringer Straße hieß die Straße früher in trautem Angedenken der siegreichen Schlacht gegen die Franzosen im Jahr 1871. Nicht gerade die charmanteste Adresse für eine künftige französische Botschaft in Berlin, befinden die Parlamentarier gequält. Die Rettung bringt eine Historikerin. Auf uralten Stadtplänen hat sie den Namen Torstraße ausfindig gemacht, und das begeistert insbesondere die Dame von der CDU. „Torstraße, das ist schön unverfänglich, und man kann sogar die Hausnummerierung beibehalten. Das spart Geld.“ Dergleichen Pragmatismus hatte die Christdemokratin schon vorher dokumentiert. Die sechsspurige Mollstraße, benannt nach Friedrich Engels' Mitstreiter Josef Moll und deshalb auf der Umbenennungsliste, solle ruhig bleiben. Man könne sie praktischerweise nach einem anderen Moll benennen, dem Oskar nämlich. Der war Maler und dem Kommunismus abhold.
Nicht allein hausfräulicher Pragmatismus, vor allem Phantasielosigkeit bestimmt fortan die weitere Debatte. Daß Hermann Matern und DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl ihrer Straßen verlustig gehen sollen, darüber sind sich die Abgeordneten einig. Nur wer soll an ihre Stelle treten? Die Preußenkönigin Luise natürlich, so war es früher und so soll es sein. Nur, wie mißlich, der Luisen gibt es schon reichlich im Westteil der Stadt, und Doppelnennungen sind zu vermeiden. Und wenn man ein wenig schummeln würde, und sie mit mit einem „oui“ schreiben täte? Eine gute Idee findet die Mehrheit des Ausschusses.
Die Anregung der Westberliner Geschichtswerkstatt, nicht nur auf die Geschichte zurückzugreifen, sondern zeitgenössische Persönlichkeiten und vor allem mehr Frauen im Stadtbild zu würdigen, sie wird kaum diskutiert. Da fällt der Name der jüdischen Ärztin Käte Frankenthal, die in der Charité in der Hermann-Matern-Straße als bedeutende Gesundheitspolitikerin arbeitete, ebenso unter den Tisch wie der des schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg, der Tausende Menschen vor dem Weg ins KZ rettete. „Diese Namen kennt doch niemand“, lautet das Argument. Nur als der Name Robert Havemann fällt, als Ersatz für die Otto-Grotewohl-Straße, da ist den Abgeordneten der Rückgriff auf „das Historische“ ein paar Minuten lang ein wenig peinlich. Schlecht sei der Vorschlag ja nicht, aber man habe sich nun doch schon SPD- und CDU- fraktionsintern festgelegt — auf den alten historischen Namen Wilhelmstraße. Welchem der vielen adeligen Wilhelms damit die Ehre gebührt, darüber sind sich die Abgeordneten zwar überhaupt nicht einig, aber es ist ihnen offenbar auch ziemlich egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen