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»Du in London ich im Leichenschauhaus«

■ Matthias-BAADER-Holst-Gedächtnisausstellung in der Galerie »Wohnmaschine«

Um an Matthias »Baader« Holst zu erinnern, widmete die Galerie »Wohnmaschine« in der Tucholskystraße dem glatzköpfigen Sänger der »letzten Recken«, dem schlaksigen Helden des untergehenden DDR-Undergrounds eine Art Gedächtnisausstellung.

Man erinnerte sich hier nicht nur des Dichters, sondern auch einer Subkultur, die anders als Vergleichbares im Westen nicht von einem Markt umgeben war, der selbsternannte Revolutionäre nach kurzem Protest gegen dies und das verwerten konnte. Im Gegensatz zu ihren protestierenden Vorgängern, die sich mit ein paar »sytemkritischen Zeilen«, aus der DDR und hinein in den 'Spiegel‘ schrieben, versuchte sich dieser Underground, der irgendwann in den 80er Jahren entstand, nicht in kritischer Auseinandersetzung mit dem herrschenden System zu profilieren. Man ignorierte die vorgegebenen Strukturen. In kleinen Auflagen wurden zwar auch sehr schöne Undergroundzeitschriften hergestellt, doch vor allem nomadisierte man live und wirklich durch die kleine DDR.

Mit dem Fall der Mauer wurden die Protagonisten der Szene von ihrer Gemeinde verlassen, zogen sich zurück oder bemühten sich im westlichen Kunst- und Literaturmarkt Fuß zu fassen. Baader und seine Freunde hatten noch trotzig versucht, sich gegen diese Vereinnahmung ihrer alten Welt zu behaupten. Keiner von ihnen konnte den Gang der Geschichte aufhalten. Baader, so glauben auch heute noch viele seiner Freunde, zog die Konsequenz und warf sich nach der letzten durchsumpften Nacht vor der Währungsunion vor die Straßenbahn. Für seinen Verleger dagegen war dieser programmatische Abgang nur ein Unfall. Die Texte, die übriggeblieben sind, können zwar vielleicht nur noch ein paar Jahre genau nur von denen verstanden werden, die damals dabei gewesen waren. Der Qualitätsunterschied zu dem, was im Westen seit mehr als zwanzig Jahren von selbsternannten Undergroundmännern zwischen Drogen, Sex und anderen Unmittelbarkeiten eitel und selbstverliebt abgesondert wird, wird auch so deutlich.

Es gab eigentlich keinen zeitlichen Anlaß zur Ausstellung — Todes- und Geburtstag des Künstlers sind lange noch hin. Vielleicht wollte der Produzentenverlag Warnke & Maas die zum Verkauf angebotenen Bücher, Ton- und Videocassetten nur mit dem Flair von Geschichte(n) umgeben, die die nicht kannten, die Baader nicht kannten. Die meisten, die zur Eröffnung gekommen waren, kannten ihn. Die waren sicher, daß er alles anders gemacht hätte oder daß sie alles anders gemacht hätten. Eine Österreicherin, die ihn nie gesehen hatte, las aus vergangenen Texten. Baaders langjähriger Freund und Wohngenosse, der Dichter Peter Wawarzinek, sprach von alten Tagen — »Du weißt nicht, was es heißt, nachts um fünf glückstrunken durch Erfurt zu wanken« —, dann führte er die Besucher durch die Ausstellung der Reste.

Im ersten Raum stehen die Ikonen einer verlorenen Zeit; Bilder von Baader, wie er sich bei Lesungen/ Konzerten in ... oder ... auf dem Boden wälzte, wie er Bier trinkt, und »ein paar Meter weiter, das bin ich«, sagt sein übriggebliebener Freund und deutet neben das Photo, wo nichts ist als Wand. In viel zu großen Rahmen ist Baader gefangen. Abgeschoben in die geschichtslose Luxuskunst. Die illustrierte Edelfassung von »all die toten albanier meines surfbretts« kostet 250,- Mark. Wawarzinek hätte nichts dagegen, wenn die Besucher das Glas vor den Photos zerstörten und die Photos zerrissen. Auf zwei großformatigen Farbphotos sieht man Baaders Zimmer in kreativer Unordnung, denn nur die Dinge, die so hervorstechen, fordern ihr Recht auf Beachtung. »Wir photografierten das, als wir erfuhren, daß er nun tot ist.«

Ein paar handgeschriebene Texte hängen an den Wänden. »du in london ich im leichenschauhaus/ ein jeder wohl auf seinem platz/ wir schliefen einst ins licht uns einsam/ du gabst dich hin ich las die taz.« Zuviel Ehre.

Einen Baaderschreibtisch hat Wawarzinek nachgestellt. Da liegen die Dinge nun unter Glas. Zusammengeknüllte Taschentücher, nie benutzte Socken, Papier, Zeitungen, Photos, Postkarten, ein Ausweis der letzten Leipziger Buchmesse, Mitteilungen, die jemand hingelegt, als er schlief ein paar Meter weiter. Ein Messer im Apfel. Eine »Bifi« mit dem Verfallsdatum 10. Juni.

Vor ein paar gerahmten Zeichnungen und Sätzen liegen mit Zeitungspapier ausgestopfte Plastiktüten. Wer vor den Plastiktüten stehenbleibt, kann nicht lesen: »der Schlaf der Vernunft gebiert Bindinger Export.« Nur der Freund tritt auf die Plastiktüten des Freundes. Die anderen denken »Kunst«, da darf man nicht rauftreten. Im Fernseher laufen Videos. Manchmal läuft auch Miss Marple durch den Fernseher. Der Dichter mochte die Detektivin. Er starb vor dem letzten Schnitt. Detlef Kuhlbrodt

Galerie »Wohnmaschine«, 1040 Berlin, Tucholskystraße 36, Mi 17-19 Uhr, Sonntag 15-19 Uhr

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