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Reise nach Schlaftag

■ Uraufführung von Wolfgang Bauers „Ach, armer Orpheus!“ im Wiener Schauspielhaus

Mit Wolfgang Bauer sind auch seine Figuren älter geworden. Sie sitzen zwar wie in den 68er Zeiten von Magic Afternoon herum, trinken Alkohol, nehmen Medikamente oder Drogen, philosophieren und führen gelangweilt Schmäh. Sie leiden nach wie vor an sich selbst und zelebrieren ihre Identitätskrisen. Doch sie wirken desillusionierter und haben ihre gesellschaftskritische Attitüde verloren. Die koketten Spiele mit ihrem gespaltenen Bewußtsein, die ernst werden und wie zum Beispiel in Change tödlich ausgehen, vermögen die Figuren und ihren Autor anscheinend nicht mehr zu überzeugen.

Eine vom Rückzug ins Private und Esoterische geprägte Zeit hat ihre Spuren gleichermaßen in den Verhaltensweisen der Protagonisten von Wolfgang Bauers letztem, 1989 entstandenem und jetzt im Wiener Schauspielhaus uraufgeführtem Stück Ach, armer Orpheus! zurückgelassen wie in der Dramaturgie des Textes selbst. Anstelle des Spiels mit der Wirklichkeit tritt die Wirklichkeit des Spiels.

Cary, der Schriftsteller mit dem Spitznahmen Orpheus, und Emil, sein Freund und Psychiater, machen einen ziemlich kaputten Eindruck. Franz Xaver Zach spielt den Whiskey in sich hineinschüttenden Arzt als Patient seiner selbst, dem aber nicht über den Weg zu trauen ist. Ein Eindruck, der durch die Schlußpointe des Stückes noch seine Bestätigung erfahren soll. Hannes Granzer als Orpheus mit Wuschelkopffrisur, schwammigem Körper und heraushängendem Hemd hingegen erscheint wie sein eigenes Medium, das sein Heil nicht im Alkohol, sondern in aus eigener Kraft bewerkstelligten Bewußtseinsüberschreitungen sucht — und findet.

Die durch einen Gazevorhang in einen vorderen, diesseitigen und einen hinteren, jenseitigen Bereich geteilte Bühne kann durch eine Drehspiegeltür von Orpheus beim Ertönen der Musik von Miles Davis überschritten werden. Seine Frau Anna und Emil leben in diesem „Schlaftag“ bezeichneten Jenseits als Leichen, die gemeinsam mit Emils Frau, einer wilden Löwin, Orgien feiern, während von der Künstlerin Garance gestaltete Prospekte mit an Höhlenzeichnungen erinnernden Graffiti im Hintergrund vorbeiziehen. In einem Käfig sitzt ein affengesichtiger, Bananen essender Gott, der den Schlüssel zu seinem Gefängnis selbst weggeworfen hat. Karl Ferdinand Kratzl spielt diesen unbewegten Auch-nichts-mehr-Beweger, der Orpheus nach einem Dichterwettstreit mit Torquato Tasso einen von Emil gestifteten Preis zuerkennt. Im Diesseits versucht er als Finanzbeamter, Orpheus' Steuerschulden einzutreiben.

Als Komödie funktiniert Wolfgang Bauers Stück mit solch einfachen Doppelbesetzungen und dem Wechselspiel zwischen einem banalen, von ökonomischen Sorgen geprägten Schriftstelleralltag und einem orgiastisch phantastischen Schlaftag einigermaßen. Als philosophisches Stück, das der Schein- Sein-Thematik eine weitere Facette abgewinnen will, hingegen kaum. Wofür auch Hans Gratzers Inszenierung verantwortlich ist. Daß sich die Figuren, immer wenn sie im Diesseits zusammentreffen, sich ihrer gemeinsamen Träume versichern und dabei überrascht zeigen, wirkt einigermaßen unbeholfen. Da das Stück und Orpheus im Sanatorium enden und sich der Psychiater Emil als der eigentliche Drahtzieher von Orpheus Grenzüberschreitungen entpuppt — der nur scheinbar als Orpheus' Marionette in dessen Träumen mitgespielt und diesem in Wirklichkeit übel mitgespielt hat —, erweist sich als aufgesetzte Pointe, die eine Intrige aufklärt, die als solche nicht unbedingt konstruiert war, aber doch das gesamte Stück letztendlich in ein schlechtes Licht stellt.

In Gratzers Inszenierung von Ach, armer Orpheus! jedoch erscheint dieser alles ordnende Ausgang insofern schlüssig, als er auch die Trennung der beiden Welten fein säuberlich vollzog, nie eine Irritation aufkommen ließ, woher die Figuren kommen und wohin sie gehen. Daß sich die Wirklichkeit des Spiels als Spiel damit auflöst, ist auch nur scheinbar ein Rückfall in Bauers frühe Stücke, in denen die Spiele, die die Figuren trieben, immer auch politische Brisanz hatten. Dieter Bandhauer

Wolfgang Bauer: Ach, armer Orpheus! Regie: Hans Gratzer. Bühne: Garance. Mit Hannes Granzer, Andrea Eckert, Franz Xaver Zach und Karl Ferdinand Kratzl. Das Schauspielhaus, Wien. Vorstellungen bis 1.6., täglich außer sonntags und montags.

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