: Schnaps-Industrie feiert die Einheit Deutschlands
■ Ostdeutsche TrinkerInnen nahmen kräftige Schlucke aus West-Pullen
Frankfurt (dpa/taz) — Keinesfalls die neue Imagekampagne der Kornbrennereien, sondern der Durst der Ostdeutschen nach westlichen Spirituosen hat die Lage der Schnapsbrenner in den alten Bundesländern schlagartig verbessert. Absatz und Umsatz der Branche, die im Westen mit stagnierendem Verbrauch kämpft, sprangen 1990 um jeweils ein Fünftel in die Höhe. Von einem „einmaligen und ungewöhnlichen Geschäftsjahr“ sprach folglich fröhlich Harald Eckes-Chantré, Präsident des Bundesverbandes der Spirituosen-Industrie (BDI), als er gestern die Jahresbilanz seines Verbandes in Frankfurt vorstellte.
„Nach dem Fall der Mauer kauften die Bürger in den ostdeutschen Ländern in erster Linie westdeutsche Produkte“, erläuterte er. Neugier und Reiz, die aus dem Fernsehen bekannte Ware zu testen, habe dabei im Vordergrund gestanden. Allerdings zeigten gerade die TrinkerInnen im Osten, daß die Imagekampagne (s. taz v. 26.1. 1991), in der Korn als wertvolles und deshalb hochpreisiges Edelgetränk verkauft wird, bislang wenig gefruchtet hat: Die ehemaligen DDR-BürgerInnen griffen vor allem zu Flaschen mit niedrigen Preisen. „Alles über 20 Mark ist zu teuer“, ergänzte ein Experte.
Zwar läßt im Osten bereits der Reiz des Neuen nach, und die eigenen Produkte sind wieder mehr gefragt. Aber eine Produktionsverschiebung von Ost nach West hat bereits deutlich stattgefunden: „Rund die Hälfte des Geschäfts ist von ostdeutschen auf westdeutsche Betriebe übergegangen“, schätzt der Verband für das 1. Quartal 1991. In den westlichen Bundesländern hat sich an dem Trend weg vom Schnaps hin zu Champagner nichts geändert.
Vor dem Fall der Mauer habe es im Westen 103 Firmen und im Osten 13 Kombinate gegeben. Inzwischen gibt es in den neuen Bundesländern rund 75 private Spirituosenfirmen — zum Teil in Zusammenarbeit mit West-Unternehmen. 23 von ihnen sind bereits unter das westliche Verbandsdach geschlüpft. Die Verhandlungen mit der Treuhand zu Kooperationen oder Übernahmen bezeichnete der Verband jedoch als „zähflüssig“. Einige Firmen in den neuen Bundesländern arbeiteten recht erfolgreich und eroberten mit ihren „Hochprozentigen“ auch den Westmarkt.
Die westliche Spirituosen-Industrie erzielte 1990 mit 6.264 (Vorjahr 6.224) Beschäftigten einen Umsatz von 6,1 (5,1) Milliarden DM. Insgesamt verließen 495 Millionen Flaschen mit 0,7 Litern die Brennereien. Hinzu kommen für den Verbrauch die hohen Einfuhren von 194 Millionen Flaschen (plus 6,7 Prozent). Die Ausfuhren nahmen um 14 Prozent auf 50 Millionen Flaschen ab, weil es 1989 Sonderlieferungen nach Polen gegeben hatte. dri
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