INTERVIEW
: „Neue Atomkraftwerke zu planen, ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen“

■ Friedhelm Farthmann, Vorsitzender der Düsseldorfer SPD- Landtagsfraktion, zu den Grundlagen der SPD-Energiepolitik und der Forderung nach parteiübergreifendem Konsens

taz: Herr Farthmann, die Vorsitzenden der SPD- Fraktionen von Bund und Ländern haben in einer Entschließung am 3. Mai in Potsdam festgeschrieben, daß sie „jeden Ersatz bzw. Neubau von Atomkraftwerken in den alten und neuen Bundesländern ablehnen“. Der Vorsitzende der IGBE, Hans Berger, hat dagegen die SPD aufgefordert, sich bei der Atomenergiepolitik zu bewegen und für seine Gewerkschaft die Zustimmung von AKW-Neubauten signalisiert...

Friedhelm Farthmann: Der bisherige energiepolitische Konsens bestand darin, daß keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden — es liegen ja auch gar keine Anträge vor — und daß die laufenden entsprechend den Vorschriften des Atomgesetzes weiterbetrieben werden können. Dazu stehen wir. Ich habe auch einige Äußerungen von Herrn Berger vernommen, die in die Richtung gehen, daß er für den Ersatzbau von Atomkraftwerken eintritt. Wir bleiben bei unserem Nein.

Wie wollen Sie den Dissens mit dem IGBE- Chef aus der Welt schaffen?

Zunächst einmal handelt es sich dabei ja nur um eine Meinungsäußerung. Tatsache ist jedenfalls, daß die Beschlußlage innerhalb der deutschen Gewerkschaften eindeutig auf der Linie liegt, die die SPD bisher vertreten hat und wie sie auch in dem Potsdamer Beschluß zum Ausdruck kommt.

1986 hat die SPD auf ihrem Nürnberger Parteitag beschlossen, bei entsprechenden Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat den Ausstieg aus der Atomenergie in zehn Jahren zu vollziehen. Gilt diese Frist weiterhin?

Ja. Sie hat aber noch nicht zu laufen begonnen, weil diese Mehrheit noch nicht gegeben ist. Wir können ja erst aussteigen, wenn die bestehenden Atomkraftwerke das Ende ihrer Laufzeit erreicht haben oder wenn wir ihre Laufzeit verkürzen. Letzteres können wir aber nur nach einer Änderung des bestehenden Atomgesetzes. Dafür haben wir aber keine Mehrheit.

Die SPD-Landesregierung in NRW bewertet den sogenannten Mikat-Bericht als „gute Grundlage“ für eine zukünftige Energiepolitik. Der Mikat-Bericht sieht aber einen Energiemix von Atomenergie mit den anderen Energieträgern vor. Damit akzeptiert die SPD doch das Nebeneinander von Kohle und Atomenergie...

Richtig. Die SPD möchte zwar spätestens in zehn Jahren aus der Kernenergie aussteigen, sie ist dazu aber nicht in der Lage. Deshalb akzeptieren wir, daß die bestehenden Kernkraftwerke bis zum Ende ihrer Laufzeit weiter betrieben werden. Das bedeutet ein Energiemix von x Prozent für Kernenergie, Steinkohle, Braunkohle und regenerative Energien. An diesem Energiemix können und wollen wir nichts ändern.

Und wenn die SPD 1994 die Wahl gewinnt?

Dann würden wir in der Tat eine Änderung des Atomgesetzes anstreben und versuchen, die Voraussetzungen für eine frühzeitige Beendigung der Atomstromproduktion und die Einhaltung des Zehnjahreszeitraumes zu schaffen. Übrigens, auch Herr Berger hat seine Zustimmung, alte Kernkraftwerke zu ersetzen, von der Lösung der Entsorgungsproblematik abhängig gemacht. Das ist der entscheidende Punkt, denn die Entsorgungsfrage war auch unser Hauptargument gegen die Kernenergie. Die Entsorgungsfrage ist heute aber genauso ungelöst wie 1986, als wir den Ausstiegsbeschluß gefaßt haben. Insofern sehe ich den Dissens zu Herrn Berger auch noch nicht.

Die SPD-Fraktionsvorsitzenden haben in ihrem Energie-Papier den gewünschten Braunkohlestromanteil mit 29 Prozent angegeben. Weitere 20 Prozent Strom sollen aus Steinkohle gewonnen werden. Wo soll der Rest herkommen?

Das kann ich ganz konkret jetzt nicht sagen, aber wir wollen versuchen, den Anteil der regenerierbaren Energieträger zu erhöhen. Da sollte das Wachstum liegen. Das hängt natürlich von den technischen Voraussetzungen ab, die man nicht durch Parteitagsbeschlüsse herstellen kann.

In der Energiewirtschaft gibt es eine Reihe von Stimmen, die von der SPD ultimativ eine Bestandsgarantie für die Atomenergie fordern. Andernfalls, so wird gedroht, werde man künftig nicht mehr die politisch gewollte Steinkohlemenge verstromen.

Ich höre so etwas auch. Das wird zwar nirgendwo direkt gesagt, aber hinter vorgehaltener Hand wird kolportiert, die Energieversorgungsunternehmen stünden dahinter. Ich kann nur sagen, wer auch immer das verlangt: Damit können wir nicht dienen und damit wollen wir auch nicht dienen. Dabei muß aber klar sein, daß nicht wir einen Konsens verlassen, sondern die anderen.

Was wird die SPD tun, wenn die Stromproduzenten ein Junktim zwischen Atomstrombestandschutz und Verlängerung des Steinkohleverstromungsvertrages herstellen?

Wir lassen uns nicht erpressen, weder von der CDU-Fraktion noch von den Energieversorgungsunternehmen. Wir haben unseren Ausstiegsbeschluß gefaßt. Die Auswirkungen von Tschernobyl stellen sich heute eher schlimmer dar als vor zwei bis drei Jahren. In der Entsorgungsfrage hat sich überhaupt nichts bewegt. Wir sind an einem Konsens interessiert, aber wer heute neue Kernkraftwerke planen und bauen will, muß wissen, daß er damit die Kernenergie für mindestens weitere 40 Jahre festschreibt. Das ist mit Sozialdemokraten nicht zu machen. Interview: Walter Jakobs