Tanz-Sammlung

■ Eröffnung des Tanzfilminstituts „dokumentationsstelle für tanz und bewegung e.V.“ / Deutsche Tanzkunst wenig dokumentiert

Schriftsteller, Maler, Musiker, Schauspieler und Regisseure können sich in Ausbildung und Arbeit an überlieferten Dokumenten ihrer Kunst orientieren: Im Buch, im Gemälde, in Ton — und Bildaufzeichnungen ist künstlerische Entwicklung, sind Interpretationen festgehalten. Für Tänzer und Choreographen jedoch, zumindest in Deutschland, trifft das nicht zu: Die Geschichte des Tanzes, der Bewegung ist nur sporadisch, zufällig, nicht kontinuierlich überliefert. Das soll nun anders werden: Am letzten Freitag wurde im Institut Francais ein Bremer Projekt — das erste und einzige in der Bundesrepublik — erstmals in der Öffentlichkeit vorgestellt: die „dokumentationsstelle für tanz und bewegung e. V.“, gegründet schon vor drei Jahren von Heide-Marie Härtel und Susanne Schlicher. Was sich aber hinter dem unscheinbaren und trockenen Begriff verbirgt, ist eine Arbeit, die so kompetent wie leidenschaftlich, so uneitel wie selbstbewußt betrieben wird - eine Arbeit, deren überfällige Notwendigkeit auch dem einleuchten muß, der etwas ratlos und tanzfremd in die Eröffnungsfeier des Tanzfilminstituts hineingestolpert ist.

Die Tanzfilmerin Heide-Marie Härtel ( Ensemblemitglied bei Hans Kresnik in seiner Hübner- Zeit) und Susanne Schlicher (Autorin des Buches „TanzTheater“ und Leiterin der Bremer Tanzwerkstatt) arbeiten seit Jahren schon zusammen und haben jetzt für ihre Dokumentationsstelle in Kooperation mit der Bremer Uni Räume im GW2 bekommen.

Einzigartig in der Bundesrepublik und längst überfällig

Zwei ABM-Stellen und etwa 100.000 Mark vom Bremer Senat sind wohl eher als Geste der Unterstützung zu verstehen denn als ausreichender Betrag, um die technische Ausstattung zu finanzieren. Aber mit Geldsorgen und Unkenrufen in die Zukunft gehen die beiden Gründerinnen nicht hausieren — sie wissen, daß ihre Arbeit in Deutschland einzigartig ist und definieren sich über die Lebendigkeit ihres Gegenstands, nicht übers Lamentieren der Zukurzgekommenen. Und es handelt sich bei ihrer Arbeit tatsächlich um die Ansammlung einer Lebendigkeit und eines Reichtums an „bewegtem“ Material, das für die Dokumentation der Tanzgeschichte wie das Heben von Schätzen wirken muß.

Ein kleiner Teil der Schätze wurde an diesem Abend vorgeführt: Härtel und Schlicher sammeln und archivieren alles, was es an Tanz-Filmdokumenten gibt. Weil das historische Material aber vor allem aus Lücken besteht — zum Beispiel ist der berühmte „Bremer Stil“ von Kresnik während seines ersten Engagements in Bremen so gut wie gar nicht aufgezeichnet worden —, legen die beiden Frauen den Schwerpunkt ihrer Arbeit seit Jahren auf möglichst lückenlose Dokumentation der aktuellen Tanzentwicklung: Sie filmen Ballett-und Tanztheater-Aufführungen, porträtieren Choreographen oder Tanzpädagogen bei der Arbeit und sammeln Filmaufzeichnungen von Freien Tanztheatern auf Festivals. Und man muß weder Tänzer sein, noch Choreograph, um bei den Filmbeispielen, die im Institut Francais gezeigt wurden, in Schwingung und Begeisterung zu geraten: Erst wenn man diese Film-und Video-Dokumente sieht, ahnt man, wieviel es von der Entwicklung menschlicher Bewegung noch zu erfahren gibt. Sybille Simon-Zülch