Nasale Attacke

■ Über den Konkurrenzkampf der Forscher

Selbst Sherlock Holmes hätte in der vergangenen Woche im texanischen Houston noch dazulernen können. Ein Nasenspray sollte zur Mordwaffe werden! Aber das anvisierte Opfer, der Biologe Barry Van Winkle, hatte eine feine Spürnase.

Van Winkle arbeitet am „Cryobiology Research Center“ der Universität Texas. Vor kurzem kam der Forscher mit schniefender Nase und schnupenflinderndem Spray ins Labor. Als er zur Sprühflasche griff und den feinen Strahl in das verstopfte Geruchsorgan lenkte, verspürte er statt der ersehnten freien Nase einen brennenden Schmerz. „Ein unangenehmes, stechendes Empfinden“, weiß auch der Sprecher des zuständigen Sheriff Departments zu berichten. Als Wissenschaftler kam Van Winkle sofort zu dem Schluß: „Da stimmt was nicht!“

Der erboste Van Winkle ließ das suspekte Spray chemisch analysieren. Und tatsächlich fanden die Chemiker Beta-Propiolazeton im Fläschchen, eine Ingredienz, die im Nasenspray nichts zu suchen hat und obendrein krebserregend ist. Beta-Propiolazeton jedoch ist der Saft, mit dem Van Winkles Kollege, der bekannte Kryobiologe John Gunnar Linner, tagtäglich hantiert. Als die von Van Winkle alarmierten Detektive zwei Flaschen der „hochgiftigen Chemikalie“ in Linners Labor entdeckten, nahmen sie den Kryobiologen gleich mit.

Linner sitzt seit letztem Dienstag im Gefängnis wegen Mordversuchs. Wie das üble Gebräu aus Linners Labor in Van Winkles Nasenspray geraten sein soll, will der Sheriff nicht verraten. Linners Rechtsanwalt gab bekannt, sein Mandant weise „die Anschuldigungen energisch zurück“.

Zwischen den beiden Wissenschaftlern tobt angeblich ein harter Konkurrenzkampf. Das „Cryobiology Research Center“ soll wegen knapper Finanzen im August geschlossen werden. Van Winkle wird mit einer anderen Stelle an der Universität Texas entschädigt, während Linner leer ausgeht. Hat Eifersucht die Mordlust entfacht? Die Sheriffs von Houston scheinen zumindest davon überzeugt zu sein. Bill Butcher, Vorsitzender der Fakultät für Biomedizin an der Universität sieht das anders: „Linner ist ein brillanter, sehr gefragter Wissenschaftler.“ Eifersucht sei fehl am Platz.

Immerhin hat Linner das inzwischen patentierte „Linner- Verfahren“ entwickelt. Dabei werden Gewebe „schockgefroren“, so daß sie intakt bleiben und mit dem Elektronenmikroskop untersucht werden können. Das Verfahren, heißt es in der 'New York Times‘, „revolutionierte“ die Biotechnologie. Ob Linner nun auch die Methoden des wissenschaftlichen Wettbewerbs revolutioniert hat, werden die Gerichte entscheiden. Hätte ein wahres Genie tatsächlich seine Chemowaffe aus jenem Gift gemischt, das flaschenweise an seinem Arbeitsplatz zu finden ist? Oder liegt gerade darin das von den Sheriffs verkannte Genie? Silvia Sanides