Jugoslawiens Generalität für Ausnahmezustand

Mit einer scharfen Erklärung fordert der Verteidigungsminister Unmögliches von der jugoslawischen Staatsspitze: sie soll die Ruhe im von nationalistischen Auseinandersetzungen gebeutelten Land garantieren, andernfalls werde die Armee eingreifen  ■ Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) — Die jugoslawische Volksarmee ist bereit zum Putsch. Ab sofort dürfen die 190.000 Soldaten der Volksarmee scharfe Munition benutzen. Die Generalität forderte am Montagabend das Staatspräsidium des Landes ultimativ auf, endlich für Ruhe im Land zu sorgen. Andernfalls würden die Streitkräfte sich nicht scheuen, die Macht zu übernehmen.

Das Land befinde sich bereits in einem Bürgerkrieg, hieß es in einer Erklärung des Verteidigungsministers General Veljko Kadijevic. In Jugoslawien müßten wieder friedliche Verhältnisse einkehren, sonst müßten die Streitkräfte „in Einklang mit ihrer verfassungsmäßigen Rolle und Verantwortlichkeit selbst dafür sorgen“. Die Art, wie die Armee bisher bei den Nationalitätenkonflikten eingesetzt wurde, sei nicht mehr effektiv.

Den vordergründigen Anlaß für diese offene Drohung mit einem Putsch oder der Ausrufung eines landesweiten Ausnahmezustands schuf der Tod einer jungen mazedonischen Soldatin, die am Montag während einer Demonstration in der kroatischen Hafenstadt Split unter bisher nicht geklärten Umständen von Demonstranten angegriffen worden war.

Die Armee hat jedoch schon seit Monaten mit dem Ausnahmezustand gedroht und diesen mehrmals regional auch durchgesetzt. Als die Generalität im März angesichts der Demonstrationen der serbischen Opposition in Belgrad mit einem Putsch drohte, ging noch ein Aufschrei der Empörung durch alle Republiken des Vielvölkerstaats. Angesichts des orthodox-marxistischen Selbstverständnisses der Armeeführung, das sich ja schon in der Gründung einer Kommunistischen Partei in Serbien bei den Wahlen im Dezember 1990 (erfolglos) manifestiert hatte, befürchteten alle „demokratischen“ Parteien damals einen Rückfall in den Stalinismus.

Doch heute sind die Kritiker, angeführt von den Republikpräsidenten Kucan (Slowenien) und Tudjamn (Kroatien), verstummt. Seit Tagen sind die Einheiten der Armee nämlich der einzige Garant für die „gespannte Ruhe“ im südlichen kroatischen Slowenien. Ohne ihre Anwesenheit wäre angesichts der aufgepeitschten Stimmung nach den Ereignissen in dem Dorf Borovo Selo, wo am letzten Donnerstag mindestens 16 Menschen getötet wurden, der offene Kampf zwischen Serben und Kroaten wohl kaum zu unterbinden. Das Vorgehen der Armee wurde sogar vom kroatischen Delegierten im Staatspräsidium, Mesic, als „korrekt“ bezeichnet.

Anfang April mußte sie in dem zwischen Serben und Kroaten umstrittenen Gebiet um das Touristenzentrum Plitivice, das zwar in Kroatien liegt, das aber auch von der serbischen autonomen Region Krajina beansprucht wird, eingreifen. Die Umschließung des kroatischen Dorfes Kijevo, das in der Nähe der Hauptstadt Krajinas, Knin, gelegen ist, hat ihr bei den vielen Kroaten den Ruf eingebracht, parteilich auf der Seite der Serben zu agieren. Und tatsächlich hatten die Einheiten, die in Knin stationiert sind, seit einem Jahr mehrmals deutlich ihre Sympathien für die serbische Führung von Krajina ausgedrückt. Dieses parteiliche Verhalten war der Anlaß für die Demonstration von Zehntausenden in Split, die dann den tragischen Ausgang mit dem Tod der jungen mazedonischen Soldatin nahm.

Abgesehen von Knin ist es der Armee also durchaus gelungen, sich nach außen hin als „Oberschiedsrichter“ bei den Nationalitätenkonflikten zu etablieren. Da sie sich als Nachfolgerin der Partisanenarmee im Zweiten Weltkrieg immer auch als politische Armee verstanden hat, wäre ihre Führung aber unterschätzt, sollte sie es bei dieser Rolle belassen. Die Forderung an das Staatspräsidium, für Ordnung zu sorgen, ist nämlich durchaus in dem Wissen ausgesprochen worden, daß dieses Verlangen gar nicht zu erfüllen ist. Der Grund, weshalb die Drohung gerade jetzt ausgesprochen wird, hat auch etwas mit der Veränderung der Kräfteverhältnisse im Staatspräsidium und der Armee selbst zu tun.

Am 15. Mai soll nämlich Stipe Mesic, der nichtkommunistische Vertreter Kroatiens im achtköpfigen Staatspräsidum, dort turnusmäßig den Vorsitz übernehmen, den bisher der Serbe und Kommunist Borislav Jovic innehatte. Zudem kündigte noch der bosnische Präsident Alija Izetbegovic an, daß er den aus der serbischen Minderheit stammenden Delegierten Bosniens durch einen Bosniaken ersetzen wolle.

Damit würde die Mehrheit für den serbischen Block im Staatspräsium gefährdet, das bisher aus dem Zusammenwirken Montenegros, den von Serbien bestimmten autonomen Regionen Kosovo und Vojvodina und Serbien besteht. Diese Mehrheit ist aber notwendig, um das bisher im Sinne der serbischen Regierung funktionierende Zusammenwirken von Armeespitze und Bundesstaat weiter zu gewährleisten. So ist — vor allem von kroatischer und slowenischer Seite — gestern die Vermutung geäußert worden, die Armee und die alte Staatsspitze wolle mit allen Mitteln den Ausnahmezustand herbeiführen, um den Wechsel an der Staatsspitze zu verhindern. Der Gedanke, mit dem Kroaten Mesic käme der erste Nichtkommunist ins höchste Staatsamt, ist für beide Seiten unerträglich.

Kompliziert wird die Lage noch durch einen zeitweiligen Führungswechsel an der Spitze der Armee. In der vorigen Woche war der Verteidigungsminister und Befehlshaber der jugoslawischen Armee, der Kroate General Veliko Kadiljevic, im Krankenhaus. Die Führung übernahm der Generalstabschef, der Serbe Blagoje Adzic, der als Hardliner eingeschätzt wird.

Mit der Erklärung von Montagabend meldete sich aber Kadiljevic selbst zurück und scheint wieder die Zügel in die Hand genommen zu haben. Es wäre überdies falsch, aus der nationalen Zuordnung der Offiziere Rückschlüsse über deren konkretes Verhalten im Nationalitätenkonflikt zu machen.

Auch wenn eine knappe Mehrheit der Offiziere Serben und Montenegriner sind, so ist ihr politischer Standpunkt weniger aus den nationalen Gefühlen des Offizierschorps zu erklären, als vielmehr aus der partiellen Interessensidentität der Bundesarmee und der serbischen politischen Linie zur Erhaltung der gesamtjugoslawischen Option.

Ob die Ausrufung des Ausnahmezustands die Lage mittelfristig befrieden würde, ist unwahrscheinlich: Denn die Bereitschaft der Soldaten aus Kosovo, Mazedonien, Slowenien undsoweiter, ihren Kopf für die Politik der Generalität hinzuhalten, bleibt mehr als fraglich.