piwik no script img

Sehvermögen und Sitzbewußtsein

■ OFF/ON, die zweite: das Bremer Design-Spektakel wurde Mittwochabend im Schlachthof eröffnet

hierhin bitte die

Schemazeichnung

Henning Krohn, Thomas Schultz: „Kontur", womöglich eines Tisches

All the beautiful people frieren. Das macht die formlose Kälte. Noch ist aber genügend Rampenlicht um den Schlachthof, so daß man wenigstens was sehen kann beim Frieren. Denn stylevollendet blinken doch die ein und der andere Sehenswerte und frösteln echt cool.

Wir befinden uns kurz vor der Eröffnung der Bremer Design- „Messe“ OFF/ON, und da kommt auch schon Senatsrat Opper. Und als wüßte er um's Design und um die Beziehung der Dinge auf-und untereinander, ist sein Anzug lässig auberginelila mit Denkerfalten um die Ärmel und einer mutigen Tendenz in's changierend Glamouröse. Und nun spricht er zu uns mit Eröffnungswörtern, und sein Manuskript wehrt sich im Winde: Verwehen soll aber nur die hiesige „calvinistische Grundhaltung“, die stets das kreative „Ausleben im Hinterzimmer“ und den „persönlichen Kleinzirkel“ schaffe statt das Gute, nämlich die „grenzüberschreitende Anregung“. Also come out aus deiner Nische, Kleinzirkler, und come together unter dem auf-und-aufgehenden Sonnenwort Design!

Das meiste, was der Stadt gut steht, ist nicht ihr Verdienst: die 38 tiefen Design-Wasser aus ihren stillen Kämmerlein gezogen zu haben, ist das Verdienst der lobpreisundehrwürdigen Veranstalter (alle Designer) Christiane Böttcher, Thomas Tiensch und Gerd Oltmann. Bremen heftet sich ja traditionell gerne Privat- Initiativen an's Revers, und nun steckt da also auch das 2. OFF/ ON-Design-Spektakel und sieht ziemlich dekorativ aus.

Auf allen Ebenen des Schlachthofs wird dem Gott der Gestaltung theatralisch gehuldigt: Zuweilen hängt vor Glanzstoff ein Prunk-Kreuz, aus babelhohen Leuchtern und Vasen steigen Kerzen und fallen Blumen edelweiß. Nicht weit vom Altar ist es, wie wir Katholiken wissen, bis zur Räuberhöhle, und siehe: auf dem Magazinboden ist alles eins. Lacklederjäckchen aus den 60ern legen sich in Frottee-Falten, abwaschbare Gartentischdecken werden zu luftigen Overalls und ganz hinten fliegen das liebe Jesulein und verschiedene Engel als Ohrstecker und Clips an der Wand lang, aber auch plastiline Fische und Krustentiere in Originalgröße, die ziehen einer die Ohren lang. Das ist hübsch häßlich oder porentief kitschig, aber echt klasse pfui sind die Hängerkleidchen aus lauter brokatumsäumten Devotionalienbildchen.

Wo Design über sich lacht und sich lustig macht, gehen uns Sehwaisen gerne die Augen über und wir hinterfragen gutmütig althergebrachten Sinn ohne Form. Auch nicht von zu weit hergeholt finden wir darum Teekannen, die aussehen wie schmilzende Schneemänner mit Pudeldeckelmütze. Wenn aber plötzlich und unerfindlich manch Sesselchen auf eishörnchentütenartigen Beinen rumsteht, dann ist das zwar eine eventuell dekorativ negierte Funktionalität, aber in etwa so irre irritativ wie die Barbie-Boutique. Fehlen nur noch schräge Spritzkringel auf graden Spitzendeckchen. Die „2000 Bügel“-Installation von GaDeWe-KünstlerInnen wirft da stellvertretend für unser aller Konsumkritik böse Bügel auf den Boden und hängt Wellpappe wie Zweireiher auf: alle Macht der Ordnung und der Bügelfalte!

Der zeitliche Ablauf hätte etwas strafferes Design vertragen, aber schließlich sitzen doch alle Talkshow-Teilnehmer auf der Kesselhallenbühne artig auf ihren acht unbequemen Design-Stühlchen: Henning Scherf, Michael

Off oder on? Eine Modefotografie von Detlef Ihlenfeldt, ein Hut aus der Kollektion von Fiona Bennett

Schirner, Werbepapst, Jochen Rahe, Designbeauftragter, Gisela Hacker, Mode-Dozentin, Volker Plagemann, Kulturbehördenleiter Hamburg, Inga Roth, Modedesignerin und Christiane Böttcher. Schade eigentlich. Da sitzen sie schon mal beisammen und man könnte die Guten ins Töpfchen und die Bösen ins Kröpfchen werfen, aber Ulla Hamanns braungebrannte Fragetechnik kitzelt gutgelaunt, aber

hierhin bitte das

Foto von der Person

mit sonderbarem

Hut

gerade mal raus, daß Herr Schirner es „blöd findet“, Werbepapst zu heißen, daß Frau Roth Kleiderschränke wie „Ersatzteillager“ empfindet und eher noch keine Millionäre kennt, daß Volker Plagemann eine witzige Krawatte trägt und hanseatische Reederdynastien für beschränkt designfähig hält, daß Herr Scherf weiß, daß alles Geld kostet und Herr Rahe Designbeauftragter ist.

Michael Schirner, HfK-Honorar

Professor und Erfinder von „Was hier nicht steht, steht in der taz“, hat ein kleines Einsehen, weil er sich einen Bremer Kaufmann durchaus auf einem Designer- Stuhl vorstellen kann. „Man muß dem guten Mann einfach klarmachen, daß die Funktion des Sitzens allein 'ne langweilige Sache ist.“

Denn: wer schlecht sitzt, der weiß immerhin, daß er sitzt. Und ist? Claudia Kohlhase

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen