: Die Phantome des Hutmachers
■ Eran Schaerf in der Galerie Zwinger
Dünne Vorhänge aus Gaze flattern von der Decke. Ein aufgetrenntes Kleid mit Rosenmuster hängt an der Wand. Die ausgebleichte Tuchbespannung aus einem Fotogeschäft, auf der die ausgestellten Fotos dunkle Rechtecke hinterlassen haben, liegt über einer Kleiderstange. Ein Samthütchen als Nadelkissen, ein Fell auf einem Bügelbrett, Fotos, Kissenbezüge, Kleiderbügel, Hölzer zum Formen von Hüten und Schirmständer... ein Sammelsurium alten Krimskrams, irgendwie mit dem Schneidern und der Kunst des Hutmachens in Verbindung stehend, ist in der Galerie Zwinger gelandet.
Doch in dem Durcheinander findet sich bald ein erstes Muster: die Dinge sind entweder schwarz-weiß oder blau, gelb und rot. Sie sind unifarben oder mit Rosen bedruckt. Jedes Material ist durch eine Form oder ein Motiv geprägt: sei es ein aufgedrucktes Muster oder ein funktionaler Zuschnitt. Doch wie die dunklen Rechtecke auf dem Tuch der ehemaligen Schaufensterdekoration bleibt auch eine Serie von ovalen Kunstleder-Bilderrahmen leer.
Der Künstler Eran Schaerf entpuppt sich in dieser Installation, die er Schneider und Sohn längen kürzen Rosen nennt, als ein langjähriger Sammler. Ältestes Beutestück dieser Leidenschaft ist eine rotgelbe Schachtel von Liptons-Tea-Bags, die seine Familie in Israel in den fünfziger Jahren mit einem amerikanischen Carepaket erhalten hatte. In ihr wurden zu seiner Kinderzeit Fotos aufbewahrt. Jetzt ist sie, mit blauen Bändern gefüllt, geheimes Herzstück einer vielschichtigen Inszenierung. Schaerf sammelte Hüte auf Flohmärkten in Tel Aviv und Paris. Er erwarb Modefotos berühmter Hutmacher. Er verleibte Fotografien aus dem israelischen Fasching seinem Fundus ein. Mit Rosen bedruckte Tüten, Papiere und Stoffe bilden ein eigenes Kapitel. Aus aufgegebenen Geschäften trieben Inventarien bei ihm an.
Im zu verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Interessen Angesammelten endeckte Schaerf jetzt formale Parallelen, nahm eine bisher wenig beachtete Melodie wahr, die nun ausgeführt wird. Teile des Ausgestellten benutzte er schon in früheren Environments: sie werden hier recycelt und neu besetzt. Nur zum Teil geht es ihm dabei um die Bewahrung letzter Spuren aussterbenden Handwerks und vergangener Kunstformen, die in ihrer Alltagsfunktionalität den Legitimationsbemühungen der freien Kunst überlegen waren.
Eher findet er in den heterogenen Materialien die Spur einer Auseinandersetzung mit Form und Motiv, Bildträger und Rahmen. In Fotografien und zugeschnittenen Stoffen taucht für ihn das Problem der Übersetzung plastischer Körper in eine flächige Darstellung auf: während die Fotografie das Motiv in die Zweidimensionalität zusammenzieht, nimmt der ursprünglich flache Stoff Volumen am Körper des Trägers an.
Doch daneben zieht sich noch ein geheimer roter Faden durch die Anhäufung gebrauchter Stoffe und zerknitterten Papiers. »Life« lautet der verräterisch den Kleiderbügeln aufgedruckte Schriftzug. Geschichten aus dem Leben schleichen sich ein. Vielleicht liefert die Ausstellung Puzzlesteinchen zu einer Identitätssuche, die mit Fotografien aus einer amerikanischen Teebeutelschachtel begann... die Ansammlung verführt, sich in dies abschüssige Gelände der Spekulation zu begeben.
Die von der Decke wallenden Vorhänge erinnerten einen Freund von mir an den Schleier der Musen, der den Helden Goethes einzig in Händen bleibt bei ihren vergeblichen Versuchen, die Musen im Leben festzuhalten. Kunst oder Leben! forderten die Musen entschieden, wenn die verliebten Künstler die Einheit von beiden wollten. Doch tapfer setzen die Künstler bis heute die Arbeit der Grenzverschiebung fort. Katrin Bettina Müller
Eran Schaerf: Schneider und Sohn längen kürzen Rosen , in der Galerie Zwinger, bis 18. Mai, Di.-Fr. 15-19 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen