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Ein müder Revolutionär mehr

■ Der amerikanische Sänger und Poet Gil Scott-Heron im Quasimodo

Hold on to your dreams hieß das Eröffnungsstück des dreitägigen Auftritts von Gil Scott- Heron im Quasimodo am Dienstag. Die Durchhalteparole schien der amerikanische Sänger und Poet an diesem Abend vor allem sich selbst zugedacht zu haben.

Als kurz vorm Auftritt eine gewisse Hektik in die Bewegungen der Organisatoren trat, ahnte man schon, daß der Konzertbeginn sich noch ein wenig verzögern wird. Gil Scott-Heron sei, von den Tourstrapazen der letzten Wochen übermüdet, im Hotel eingeschlafen. Als der Sänger sich dann mit undramatischer Verspätung ans E-Piano setzt, ragt der Hotelschlüssel noch aus seiner Jeans hervor: »Ich habe meine Stimme irgendwo zwischen Frankfurt — oder war es Hamburg? — und Berlin verloren.«

Gil Scott-Heron wirkt übermüdet, seine Stimme klingt rauher als sonst, seine Wangen sind schmal, fast eingefallen. Der Roadie stellt seinem Schützling sofort einen Whiskey mit Eis aufs Keyboard. Gil Scott-Heron beginnt zu singen — es klappt, man atmet innerlich erleichtert auf. Er kann singen. Hold on, möchte man ihm zuflüstern.

Gil Scott-Heron, einer der wichtigsten Sänger und Überbringer politischer Botschaften des schwarzen Amerika der letzten zwanzig Jahre hat in Amerika derzeit nicht einmal mehr einen Plattenvertrag. Sein vorzügliches Live-Doppel-Album Tales of Gil Scott-Heron ist nur in Europa erhältlich. Der »Minister of Information«, wie er sich selbst einmal scherzhaft nannte, ist, wenn auch an diesem Abend wie ein angeschlagener Boxer agierend, still alive and kickin'. Seine ausgeschlafene Band Amnesia Express sorgt für das rhythmische Rückgrat und für die Power, auch diesen Abend über die Bühne zu bringen. Aber auch die sechs Männer seiner Band scheinen ihren Sänger schonen zu wollen. Er gibt das Tempo vor, sie scheinen ihm zeitweise mit angezogener Handbremse zu folgen. Seine Kraft reicht heute nicht, um schwungvolle Reden zu halten, wie man es von ihm gewohnt ist. Irgendwo zwischen all diesen beschissenen Städten muß ihm die Botschaft, die große, wahre Message, verlorengegangen sein.

Es ist nicht der Abend für eine feinsinnig gerappte Einleitung zum »B«-Movie, mit der Gil Scott-Heron Anfang der Achtziger die TänzerInnen aufs Diskoparkett zog. In dem Song rechnete er uns vor, daß es in den USA ausreicht, wenig mehr als 20 Prozent der Bewohner zu mobilisieren, um Präsident zu werden. Da die Wahlbeteiligung immer nur um die 50 Prozent der Registrierten liegt und viele Leute, gerade die Bewohner der Schwarzenghettos, nicht im Wählerverzeichnis registriert sind, konnten Personen wie »Skippy« (Erdnuß-Carter) oder »Ronald from Showgun to Raygun« Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden.

So etwas lernte man in unserer Stadt damals in der Disko, nicht in der Schule. Wenn diese Musik- und Textstrategie in den Schwarzenvierteln der USA genausogut wie in unserer Klasse eingeschlagen wäre, hätte Gil Scott-Heron in guter Malcolm- X-Tradition problemlos die schwarzen Massen durch Aufklärung und Bildung zur Revolution gegen die weiße Herrschaftsklasse führen können. Daß in den USA immer noch die anderen regieren, wissen auch Heron und seine sechs Funkadelic-Brothers auf der Bühne nur zu genau. Zum Trost erzählen sie nach einem Song fröhlich feixend, daß sie am Abend zuvor begeistert am Hotel-TV die gerade stattgefundenen Demonstrationen mit heftiger Randale in ihrer Heimatstadt Washington D.C. verfolgt hätten. »Und das Weiße (sic!) Haus wird auch noch abbrennen — haha.«

Bis es endlich soweit ist, hilft man sich mit einigen Bluesstücken über die Wartezeit hinweg. Gut dazu geeignet ist beispielsweise eine Jazzballade, die davon handelt, alles morgen nachholen zu wollen, was heute nicht so ganz klappt: I'll go home tomorrow. Das Tenor-Saxophon treibt im Solo mit klaren, hellen Läufen voran, die Gitarre von Ed Brady leiht sich einige Riffs in rockigen Gefilden, und der rundliche Tony Dunkinson in seinem Barbados-T-Shirt schwingt virtuos und engagiert sein Triangel. Währenddessen heizt der funkige E-Baß die Tanzfreude des Publikums an.

Die Welt könnte in Ordnung sein, bei dieser Musik. Und wenn jeder einfach das tun würde, was Gil Scott-Heron ihm sagt. Dann gäbe es keine AKW-Unfälle in Detroit mehr (»We almost lost Detroit«) und jeder würde seine Kohlen selber aus den Stollen »three miles down« schleppen. Neue Schmählieder über Wüstenstürmer Bush oder seinen feisten General Schwarzkopf hat Gil Scott-Heron allerdings nicht parat. Vielleicht fällt dem dichtenden Komponisten einfach keine Melodie und keine Poesie mehr zur großen und kleinen Politik ein. Oder die Fragen zu den offiziellen Antworten, die er in seiner zwanzigjährigen persönlichen Musikhistorie immer stellte, liegen heute für ihn irgendwo zwischen den Eiswürfeln seines Whiskeys verborgen.

Dafür wird ein kleines Buch mit Texten vom Informationsminister in spe in der Pause verkauft. Es heißt, ein wenig resignativ und zum Konzert passend: Gil Scott-Heron: So far, so good. Andreas Becker

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