: Neumünster-betr.: "Grüne: Links vor, real zurück", Tagesthemenseite, "Vom Lager zurück zur Sekte", Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 29.4.91 / "Am Tag danach: Grün ist die Hoffnung" / Interv. mit Piecyk, Vollmer ,Knapp, taz v.30.4.91
betr.: „Grüne: Links vor, real zurück“, Tagesthemenseite, „Vom Lager zur Sekte“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 29.4.91, „Am Tag danach: Grün ist die Hoffnung“, „Defätistisch und inhaltlich dürftig“, „Zwei grüne Wahrheiten“ (Interview mit Willi Piecyk), „Derlei Niederlagen adeln in gewissem Sinne“ (Interview mit Antje Vollmer), „Nerven behalten“ von Udo Knapp,
taz vom 30.4.91
Beginnend mit dem Kommentar von Klaus Hartung in der Montags-taz brach ein geifernd parteiisches und damit nichtjournalistisches Gewitter über die LeserInnenschaft herein, als habe etwa ein neuer Golfkrieg begonnen. Ursache war aber nur ein insgesamt erfreulich moderat geendeter Grünen-Parteitag. Es muß den Obergurus der Realissimos schon arg schlecht ergangen sein, wenn die inzwischen ja bereits viele Journaille-Patzer gewohnte Leserin derart traktiert wird: neben dem Kommentar des Gefälligkeitsschreibers Hartung kommen ausnahmslos die VerliererInnen an exponierter Stelle zu Wort. Die Familie Vollmer-Knapp darf sich mal so richtig ausweinen, während die interessierte Leserin ansonsten nur schluderig Hingeschriebenes erfährt.
Lieber Klaus Hartung und alle, die es sonst noch angehen mag: Ich habe nichts einzuwenden gegen pointiertes Stellungnehmen. Was ihr aber seit einiger Zeit aus der taz macht, ist ein Blatt zur Frontberichterstattung aus dem realpolitischen Stellungskrieg. Noch lese ich — alten Gewohnheiten folgend — am Tag nach linksinteressierenden Ereignissen zuerst die taz und dann den 'Mannheimer Morgen‘. Inzwischen frage ich mich, ob ich es künftig nicht umgekehrt machen soll. Petra Büchner, Mannheim
Da war ich am Wochenende in Neumünster und wollte mal nachlesen, was diverse Zeitungen so darüber berichten. Das taz-Abo hatte ich schon vor längerer Zeit gekündigt, weil die Einseitigkeit und journalistische Unsauberkeit dieses früher wichtigen und interessanten Blattes mir unerträglich geworden waren.
Nachdem ich nun also einigermaßen zufrieden die 'FR‘-Berichte und -Kommentare gelesen hatte und mir — im vollen Bewußtsein meines gepflegten Vorurteils — mal wieder eine taz kaufte, sozusagen als rechtes Kontrastprogramm zur 'FR‘, war ich echt begeistert. Volles Rohr wurde mir da geboten:
Seite eins: Foto von Joschka und Frau Antje. Destruktiver Kurzbericht über die angebliche Katastrophe von Neumünster. Seite drei: Persönlicher Frust eines Klaus Hartung wird abgedruckt. Fotos von Joschka, Udo Knapp und Waltraud Schoppe. Weiter (auf Seite zehn) Stellungnahme von Udo Knapp bei der er in die Rolle eines „manchmal nach beiden Seiten kritischen“ Vordenkers geschoben wird. Dann (noch auf Seite drei) natürlich eins jener offenbar unvermeidlichen weinerlichen Interviews mit Frau Antje. Schließlich noch ein eindeutig ausgerichtetes Interview mit dem Genossen Willi Piecyk von der SPD, formuliert von dem Schreiberlein Jürgen Oetting, der offenbar wenigstens in diesem Blatt immer noch etwas abliefern darf.
Mit dem, was in Neumünster abgelaufen ist, hat das wenig zu tun. Das ist verantwortungsloser Journalismus, niveaulose Stimmungsmache. [...] Dipl.-Ing. Walter Sauermilch, Architekt, Pinneberg
Liebe Grüne, im Gegensatz zur taz möchte ich Euch ganz, ganz herzlich gratulieren zu Eurer Bundesversammlung in Neumünster. Oberfundis und Oberrealos haben es nicht geschafft, Euch fertigzumachen. Wenn Jutta und Antje jetzt gehen, dann kann Euch das nur guttun. Ich glaube, daß viele, die Euch schon fast oder ganz aufgegeben hatten, sehr froh sind, daß es Euch wieder gibt. Und wenn Klaus Ditfurth und Udo Vollmer jetzt böse mit Euch sind: das macht gar nichts. Ich hab mich tierisch gefreut. Heiner Groß, Altheim
Auch zwei Tage nach der grünen Bundesversammlung in Neumünster erfahre ich nichts über die dort gefaßten Beschlüsse, lese nichts über die dort gewählten Personen. Statt dessen kann ich Udo Knapp, Klaus Hartung und Antje Vollmer seitenweise genießen. Bedenkend, daß es sich bei der taz um eine Zeitung handelt, deren Gründungsanspruch war, gerade die nicht verbreiteten Ereignisse zu veröffentlichen, ist die Berichterstattung von der grünen Bundesversammlung ein Skandal!
Aus anderen Zeitungen und sonstigen Medien habe ich erfahren, daß die Grünen in Neumüster eine Strukturreform verabschiedet haben und daß es sich dabei wohl um einen Kompromiß zwischen moderat linken und realpolitisch orientierten grünen Vorstellungen gehandelt hat. Ich erfahre, wer die neuen Sprecher der Grünen sind, nehme Christine Weiske, die ich vorher nicht kannte, als Person wahr.
Die taz hingegen scheint sich neuerdings einzurichten im Lager der Sensationspresse: Jutta Ditfurth und Antje Vollmer stehen im Vordergrund, sonst gibt es wenig. Wie wäre es demnächst mit 'Bild‘hafter Darstellung wie: „Jutta: würg, mir reicht's. Antje: mir auch“. Übrigens: mir auch! Gerhard Neunert, Groß-Gerau
[...] Schon Wochen vor dem Parteitag ließen sich die taz-Redakteure keine Gelegenheit entgehen, auf die Notwendigkeit einer umfassenden Strukturreform bei den Grünen hinzuweisen. Tenor war immer derselbe: die Grünen müßten sozusagen die basisdemokratischen Eierschalen abwerfen, um endlich erwachsen zu werden. Nun ist es ja gänzlich unumstritten, daß sich bei den Grünen einige Strukturen herausgebildet hatten, die für den politischen Entscheidungsprozeß hinderlich beziehungsweise ineffektiv waren und die geändert werden sollten.
Die Frage war nur, was alles geändert werden sollte. Und hier wurde vom Realo-Flügel und insbesondere von der taz im Vorfeld ein Riesentheater veranstaltet, daß unbedingt die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben werden müßte. Das wurde quasi zum entscheidenden Kriterium für eine Zukunftsorientierung gemacht und alle, die an dieser Trennung festhalten wollten, galten als „konservative“ Ewiggestrige, die sich irrational an nachweislich schädliche Strukturen klammern würden.
Das Problem bei dieser Kritik ist allerdings, daß es seit dem Rauswurf der Grünen aus dem Bundestag ja faktisch — außer den beiden Ost- Grünen — keine Mandate mehr gibt und demnach die geforderte Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat überhaupt keine praktische Konsequenz hätte. Wie man diese Frage zur zukunftsweisenden Entscheidungsfrage hochstilisieren konnte, läßt sich rational jedenfalls kaum nachvollziehen.
Nachdem nun die Delegierten in Neumünster eine Reihe von Strukturveränderungen beschlossen hatten, aber der Verbindung von Amt und Mandat nicht die notwendige Mehrheit gegeben hatten, kritisieren die gleichen Redakteure, die sich vorher die Finger wundgeschrieben hatten, wie wichtig und entscheidend die Strukturreformen seien, daß in Neumünster die Strukturreform so sehr im Mittelpunkt gestanden haben! Sagt mal, lest ihr manchmal auch noch, was ihr so schreibt?
Vermutlich ist meine Forderung nach mehr Objektivität gegenüber den Grünen von der taz zuviel verlangt. Aber vielleicht könnte es sowas wie eine „Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung“ geben.
Ein Beispiel: In Neumünster waren die Grünen Samstag nacht noch weit nach Mitternacht mit 90 Prozent der Delegierten beschlußfähig. Am gleichen Wochenende wie der Bundesparteitag der Grünen fand in Bremen ein Landesparteitag der SPD statt. Der SPD-Wahl- und Programmparteitag mußte Samstag nachmittag abgebrochen werden, weil zu viele Delegierte die langweilige Programmdebatte nicht länger ertragen hatten und nach Hause gegangen waren und der Parteitag somit beschlußunfähig war.
Wenn das den Grünen passiert wäre, hätte Hartung sicherlich 14 Tage auf der Titelseite über die Politikunfähigkeit der Grünen lamentiert. Die Meldung über den Bremer Landesparteitag habe ich hingegen bei der taz überhaupt nicht gefunden. Detlef Dobersalske, Breitbrunn
Da ich selbst als Delegierter an der Bundesversammlung in Neumünster teilgenommen habe, erwartete ich für den Montag darauf die kritische Auseinandersetzung der Presse mit der Versammlung. Statt sich aber mit dem tatsächlichen Verlauf aufzuhalten, kolportiert der Aufmacher der taz eine Anzahl von schlichten Unwahrheiten, deren Aneinanderreihung ein Bild vom Parteitag vermittelt, das so einfach nicht stimmt, so kritikabel er auch gewesen sein mag.
En detail (wo bekanntlich der Teufel steckt:) die Strukturreform ist nicht gescheitert — diese Aussage relativiert Ihr im übrigen später selbst—, da von den vorgelegten Kompromißvorschlägen bis auf die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat alle durchgingen. Insgesamt wurde ein von der Länderebene kontrollierter Länderrat, ein verkleinerter Bundesvorstand ohne Rotation und ein erleichterter Urabstimmungsmodus verabschiedet — da hätte doch vor einem Jahr noch jedem Realo/jeder Reala das Herz im Leibe gelacht.
Und ganz so demonstrativ beleidigt wie die taz das vielleicht gehabt hätte, waren Realos und Aufbruch auch nicht: die Meldung, sie hätten am Ende der Veranstaltung ein Spruchband „Wir kommen wieder“ durch die Halle gezogen, ist eine schlichte Lüge, um das Kind mal beim Namen zu nennen. Richtig ist vielmehr folgendes: Dieses Transparent wurde von Mitgliedern und MitarbeiterInnen der alten Bundestagsfraktion getragen und bezog sich —schwer zu erraten — auf die nächste Bundestagswahl.
Zusammengefaßt: Ihr habt meinem Kreislauf am Montag morgen einen großen Gefallen getan, meinem Adrenalinspiegel und Eurer Glaubwürdigkeit aber nicht. Deshalb:
Das nächste Mal Augen und Ohren auf, ein bißchen Engagement und Ihr findet bestimmt die Sachen, die wirklich mies laufen, sonst steigt Axel Cäsar doch noch einmal aus dem Grab. Andreas Gonschior,
Harsum-Borsum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen