Neu im Kino: "Die Verschwiegene"

Der erste Film von Christian Vincent ist so französisch, daß es schon wieder wehtun würde, wenn all die Pariser Cafes, schicken Appartements und staubigen Buchläden nicht so angenehm anzusehen wären. Zudem ist Fabrice Luchini als Stammschauspieler von Eric Rohmer längst zu einer Art Belmondo für Feingeister geworden. Aber in „La Discrete“ spielt er den Antoine zugleich so abstoßend und faszinierend, daß man nie zuviel von diesem unerträglichen Schwätzer bekommt, dem die Kamera mit fast jeder Einstellung folgt. Judith Henry als Catherine sehen wir so auch meist nur mit seinen Augen; aber dennoch ist ihre Entwicklung vom blassen, reizlosen Mädchen zu einer schönen und interessanten Frau genauso spannend wie die perfide Durchführung des Plans, die den Boshaftigkeiten der „Gefährlichen Liebschaften“ in nichts zurücksteht .

Antoine will sich an den Frauen rächen: Gerade als er sich glorreich von Solange trennen wollte, ist ihm diese höchst demütigend in die Parade gefahren. Ein Freund und Verleger weiß bösen Rat: Antoine, der Möchtegernliterat, soll irgendein Mädchen verführen, es dann kaltblütig wieder verlassen und jedes Stadium präzise und mit Esprit in einem Tagebuch dokumentieren. Natürlich verheddern sich die Intriganten in ihren eigenen Fäden, und Catherine, das vermeintliche Opfer, rächt sich zum Schluß am grausamsten.

Der Film erzählt nicht nur eine Geschichte, die aus einem galanten Roman des 18. Jahrhunderts stammen könnte; alte Bücher spielen auch sonst eine heimliche Hauptrolle. Der Buchhändler Jean ist wie in ihnen begraben, und Antoines ewige Konversation ist letzlich nur eine Aneinanderreihung von Zitaten. Die verschwiegene Catherine erzählt nur eine Geschichte, aber diese ist so wahr und intim, daß Antoine ein einziges Mal die Worte fehlen.

Der elegante, intellektuelle Ton der Erzählung, die unaufdringliche Musik von Schubert und Scarlatti, das sehr kultivierte Paris, eine ironisch, melancholische Romanze — all das ist feinfühlig zusammengefügt und macht „La Discrete“ zu einem unterhaltsamen und klugen Erstlingswerk, das auf Vincents nächsten Film neugierig macht.

Wilfried Hippen

läuft in der Schauburg