: Romantik aus allen Rohren
■ Haute Cuisine in Frankreich. Herr Thömmes begleitete Köche aus der Ex-DDR auf einer Studienreise durch das Burgund
Haute Cuisine in Frankreich. HERR THÖMMES begleitete Köche aus der Ex-DDR auf einer Studienreise durch das Burgund
M
itten in der Nacht kam die schwarze Qualle. Glitschig und klebrig legte sie sich über Nase und Mund und nahm mir alle Luft zum Atmen. Puh! In Wirklichkeit lag ich nur auf dem Bauch, aber das merkte ich erst beim Aufwachen. Mit vollem Magen soll man im Bett eine andere Position einnehmen, aber ob das nützen würde? Es hatte ja auch sichtlich wenig gebracht, das Abendessen mit einem kräftigen Kaffee abzurunden und den Magensäften mit zwei gut eingeschenkten Marc de Bourgogne auf die Sprünge zu helfen.
Im Dämmerschlaf begann ich die Weisheit von Herrn Franz zu bewundern. Der hatte zwar auch mit Vergnügen dem Essen zugesprochen und selbst beim Rindfleisch mit Selleriepüree noch nicht das geringste Anzeichen von Mattigkeit erkennen lassen, aber die Charlotte au Chocolat, obgleich erfreulich luftig, rückte er nach einigen Löffeln beiseite. Und als sich dann der üppige Käsewagen näherte, fragte er doch etwas jammervoll, ob er den heute mal auslassen könne.
Er konnte, und vermutlich schlief er in dieser Nacht besser als ich. Vielleicht, dachte ich dann, war Herr Franz ja gar nicht unbedingt weise, sondern nur ein verantwortungsbewußter Mensch. Würde er nämlich tags darauf am Steuer seines VW- Busses von einer plötzlichen Verdauungsschwäche heimgesucht, auf dem Gebiet der fünf neuen Länder, kurz: FNL, hätten vier der besten Hotels ihre Küchenchefs und einen der sowieso raren Sommeliers (den guten Geist des Weinkellers) verloren. Das wäre ein wirklich zu harter Schlag in einer Zeit, in der mit dem real existierenden Sozialismus auch die Ära des Schweinerückensteaks mit Ananasscheibe sich dem Ende zuneigt.
Diese beiden grundsätzlichen historischen Prozesse vor Augen, hatte Madame Durie vom Burgunder „Comité Régional du Tourisme“ eine glänzende Idee. Wo anders als hier, im „heart of the richest gourmet region of France“ ('New York Times‘), könnten Köche der FNL in einer Woche mehr über Essen und Wein und romanische Kirchen erfahren?
Gute Madame Durie! Sie stopfte uns wie Mastgänse mit flammengotischen Fensterbögen und Hektarerträgen von Grand-Cru-Weinen. Sie wußte alles über das Burgund.
Seit zweieinhalb Tagen kutschierte uns Herr Franz vom Senfmuseum in Dijon (fünf Gänge am Mittag) zum Weinmuseum in Beaune (fünf Gänge am Abend): Ein wahres Wunder, daß die schwarze nächtliche Qualle so lange hatte auf sich warten lassen.
O
nein, ich möchte hier kein Mitleid erwecken, das wäre nicht im mindesten angebracht. Es war eine wunderbare Reise, wenngleich die ersten Eindrücke enttäuschten. Weil Köche, zumindest FNL-Köche, beim Essen nicht übers Essen reden. Ich hatte erwartet, daß sich bei der ersten Vorspeise die Nüstern blähen würden, um Düfte einzusaugen, daß Teller unter der Nase kreisen würden, um die feinsten Nuancen zu unterscheiden. Nichts davon.
Die Gespräche mit den gastgebenden Leitern der Restaurants kreisten um profan Marktwirtschaftliches. Mit wieviel Prozent Wareneinsatz rechnen Sie in der Kalkulation? Wie ist der Personalstand im Verhältnis zum Umsatz?
Aber das legte sich rasch. Nach ein paar Gläsern Wein waren wir mitten in Ost-Berlin oder Dresden. „Weißt du noch, als das Wachsfigurenkabinett...“ Das Wachsfigurenkabinett war das Politbüro, und es muß schrecklich gewesen sein, die greise DDR-Führung zu bekochen.
„Die mußten ja alle das gleiche haben, ein Menü für alle mußte es sein.“ Na und? „Was heißt da ,na und‘, der eine hatte's an den Nieren, der nächste mit'm Magen, ein anderer am Herz.“ Na und? „Hier kein Zucker, da kein Essig, dort kein Salz. Wir mußten ja probieren — gräßlich. Rotkohl ohne Essig. Pfui Teufel!“
Der Herr Doktor Kohl, so erfuhr ich, sei da als Esser echt dankbarer. Die Schwierigkeiten entstünden bei ihm lediglich beim Auflegen der Speisen. Ob ich mir vorstellen könnte, wie weit dieser Mann seines Umfangs wegen vom Tisch abrücken müsse und was für lange Arme nötig wären, von hinten den Spargel halbwegs sicher auf seinen Teller zu bugsieren, ohne Butterflecken auf der Kanzlerhose zu hinterlassen?
Und ob ich eine Vorstellung hätte von den Unbillen, denen ein Koch in der Mongolei ausgesetzt sei mit 350 ebenso hungrigen wie hochdekorierten Mäulern? Die hatte ich nicht. „Da geht nix. Keine Eier, die gefrieren den Hühnern im Hintern. Fleisch fürs Gulasch? Da hauen die kurz einem Pferd vor den Schädel!“
Ich war ein Unwissender. Weder wußte ich um die Schwierigkeiten, die es machte, in Kuba bei 40 Grad im Schatten in Zelten ein kaltes Büffet zu errichten, noch wußte ich, wie die Magazin-Drachen in Leningrader Hotels zu überlisten sind, um unbefugt an zwei zusätzliche Pfund Mehl zu kommen.
Ach, ihr FNL-Köche, ihr seid Künstler und Zauberer, zumindest aber gute Geschichtenerzähler, und meine Achtung war schon vor den folgenden Anekdoten über die Speisung von Louis Armstrong, Breschnew und Nakasone beträchtlich gestiegen.
Überhaupt sollte jetzt Schluß sein mit dem Gespött über die — vormals — Sättigungsbeilage in HO-Gaststätten, nachdem das „Leif“-Institut festgestellt hat, die neuen Bundesbürger würden bei Geldknappheit eher auf Bücher verzichten als auf gutes Essen.
W
ie sieht es denn im kulinarischen Frankreich aus? Da hat Jack Lang, der Kulturminister, in Schulen „Geschmacksateliers“ einrichten lassen, auf daß die Fast-Food- Generation die Richtungen süß, bitter, sauer und salzig unterscheiden lernt. Also Ruhe bitte!
Nun bin ich etwas von der Reise durchs Burgund abgekommen, und es ist an der Zeit, diesen Landstrich vorbehaltlos zu loben (aus Prinzip ein wenig zu mäkeln, wäre wirklich kleinlich). Umstandslos kann ich mich dabei der 'Neuen Zürcher Zeitung‘ anschließen: „Das Mitttelalter ist hier noch lebendig, lebendiger als anderswo.“ Oder, um die saloppe Madame Durie zu zitieren: „Romantik aus allen Rohren.“
Wohl wahr. Hier steht eine alte Burg und dort ein Kloster, Dijon ist erhalten wie kaum eine Stadt dieser Größe, und ein Ort wie Tournus, herrlich träge an der Saône gelegen, ist angenehm schmuck.
Und überall liegen nette Geschichten auf der Straße. Etwa die, daß das heutige Burgund im 16. Jahrhundert beinahe schweizerischen Invasoren zum Opfer gefallen wäre. Nur fanden die beizeiten die Fässer und mußten ihr Vorhaben volltrunken aufgeben.
Beschwingt fuhren wir durch die Weinberge der Côte d'Or, den verantwortungsbewußten Herrn Franz am Steuer, die sprudelnde Madame Durie im Ohr, und auf einmal sagt sie, wir müßten jetzt rechts abbiegen, ja, und jetzt noch um die Ecke, anhalten bitte und aussteigen. Nichts als Rebstöcke auf allen Seiten, und dann flüstert sie: „Da sind wir.“ Nichts als ein kleiner Acker, aber wir neigten das Haupt, wie das ergriffene Pilger im Petersdom tun würden. Hier wächst also einer der besten Weine der Welt, 3.000 Francs die Flasche vielleicht und doch nicht zu kriegen. Ende der Gedenkminute.
Weiter nach Süden fuhren wir, wo uns in Givry Monsieur Desvignes alles über Rebschnitt und Düngung erklären wollte, aber nach zwei Minuten kam Opa Desvignes und brummte: „He da, was steht ihr hier rum, kommt in den Keller und trinkt.“ Wir zollten dem Alter Respekt und folgten.
Und weiter nach Süden fuhren wir ins Maconnais, um die Winzergenossenschaft La Croix-Blanche zu besichtigen. Und als der Chef, der auf den entzückenden Namen Marc Jambon hört, den Besuchern noch eine Kiste Weißen mitgab, staunte einer der Köche aus Dresden dann doch: „Uns haben sie immer erzählt, im Kapitalismus wird nichts verschenkt.“
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