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Fast blind geschlagen

■ Der Fotograf W. Eugen Smith — eine Ausstellung in Paris

Seine Fotos sind eher düster, das Licht fällt spärlich ein, wie durch die Risse einer Mauer. Gesichter in den Straßen von Pittsburgh, die Poren von Kohlenstaub verstopft, entfremdet durch überdimensionale Schutzbrillen. Der Rauch bahnt sich seinen Weg in jeden Winkel der Stadt, deren Straßennamen, „Love“ oder „Pride Street“, an das Leben außerhalb des Schattens erinnern.

Der Fotograf W. Eugen Smith, Meister des Spiels mit dem Licht, feilte drei Jahre lang an seiner Reportage über die Stadt des Industriewunders im Amerika der fünfziger Jahre. Erst dann hielt er seinen Spaziergang in einem Labyrinth für die Veröffentlichung geeignet: Fotos, die dem amerikanischen Traum wenig Platz ließen.

Das Werk des 1918 in Witchita (Kansas) geborenen Künstlers steht im Mittelpunkt einer Ausstellung des Centre Georges Pompidou in Paris, die in Zusammenarbeit mit der internationalen Eugen Smith-Stiftung organisiert wurde. Die Stiftung war 1980 gegründet worden, zwei Jahre, nachdem ihr geistiger Vater mit 18 Dollar in der Tasche gestorben war.

Eugen Smith hatte sich stets in ein Milieu hinein begeben, bevor er es in seinen Schwarz-weiß-Fotos festhielt. Seine Bilder waren seine Handschrift. Sie erzählten wahre Geschichten mit einer Intensität, die man bis dahin vor allem dem geschriebenen Wort zubilligte. „Oberflächlichkeit ist die schlimmste aller Lügen.“ In dieser Überzeugung entstanden seine Fotoserien, die er unter anderem im 'Life Magazine‘ veröffentlichte, für das er mehrere Jahre als Reporter arbeitete.

1943: Krieg im Pazifik. Vier Soldaten suchen hinter einen Felsen gekauert Schutz vor einem feindlichen Geschoß, dessen Rauch sich pilzförmig in der Luft ausbreitet. Ein GI, das Gesicht verbunden, die Hände hilflos zum Gebet erhoben. Nach Ende des Kriegs beginnt für Smith eine neue Phase. Der Fotograf folgt mit seiner Kamera, anfangs ohne einen Film einzulegen, Menschen, die sich abseits von der Öffentlichkeit für andere einsetzen: einem Landarzt in Colorado, einer Hebamme in Südafrika, Albert Schweitzer, der in Afrika eine Station für Leprakranke errichtet hatte.

Von den einen als Höhepunkt der engagierten Fotografie betrachtet, werfen andere Kritiker seiner Arbeit vor, die Realität auf Gegensatzpaare zu reduzieren: Liebe und Haß, Tod und Leben. Das Centre Pompidou will vor allem den humanistischen Aspekt in Smith' Fotografie unterstreichen. Seine letzte Reportage ist in diesem Zusammenhang sicherlich die bekannteste: Minimata, ein japanisches Fischerdorf, dessen Bewohnern ins Meer geleitetes Quecksilber das Leben zerstört. Smith ist einer der ersten, der sich mit seinen Fotos öffentlich zum Anwalt der Opfer macht und dabei selbst zum Opfer der Verantwortlichen der Katastrophe wird. Ihre Schlägertrupps schlagen ihn halbblind, so daß er seine Arbeit nicht mehr fortführen kann.

Zwölf Fotografen, deren Bilder ebenfalls ausgestellt werden, halten die Gegenwart unter einem Smith' verwandten Blickwinkel fest, wenn auch mit weniger Pathos in ihrer Darstellung. Beiträge aus verschiedenen Gesellschafts- und Kulturkreisen, die der Smith-Stiftung eine Förderung wert waren: Jane Evelyn Atwoods Portrait blinder Zwillinge, die sich in Pose stellen für ein Foto, das sie niemals sehen werden. Das Afrika Jon Vinks, in dem Eingeborene mit archaischen Mitteln den Wassermangel zu bekämpfen versuchen. Mythen der Indianer Boliviens, die Sebastian Saldago mit ehrfurchtsvollem Blick durch die Kamera lebendig werden läßt.

Die Italienerin Laetitia Battaglia behandelt in ihren Reportagen ein einziges Thema: Groteskes und Grausames der sizilianischen Mafia. Sie scheint Smith' Auffassung der Fotografie ins Extreme ausgedehnt zu haben, wenn sie von sich sagt, sie könne niemals fotografieren, was sie nicht so persönlich berühre wie die Geschehnisse in ihrem Heimatland. Sie hat heute die Arbeit als Fotografin aufgegeben und engagiert sich politisch. Jeanne Haeri

Die Ausstellung ist noch bis zum 17.Juni in Paris, Centre Pompidou, zu sehen und wandert dann nach New York und Japan.

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