: Die UNO auf Kandidatensuche
Der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse ist im Gespräch/ Auch Afrikaner wollen Kandidaten präsentieren ■ Aus Genf Andreas Zumach
„Das wäre eine gute Lösung.“ So und ähnlich reagierten Diplomaten und Beobachter beim europäischen UNO-Hauptquartier in Genf spontan auf die letzten Sonntag erklärte Bereitschaft Eduard Schewardnadses, sich im Oktober dieses Jahres als Nachfolger Perez de Cuellars zum Generalsekretär der Vereinten Nationen wählen zu lassen. Tatsächlich könnte das Interesse des ehemaligen sowjetischen Außenministers der UNO aus einer großen Verlegenheit helfen: Offizielle KandidatInnen für den prestigereichen, mit jährlich 192.000 US-Dollar brutto dotierten Posten gibt es bislang keine, dafür aber bis zu 60 Namen, die in den Kulissen der Weltorganisation genannt werden. Ernsthaft diskutiert wird davon nur eine Handvoll Personen. Deren Chancen gelten jedoch wegen gravierender Einwände von der einen oder anderen Seite derzeit nicht als aussichtsreich.
Zum erstenmal in der 46jährigen Geschichte der UNO ist mit Gro Harlem Brundtland eine Frau für den Spitzenposten im Gespräch. Die sozialdemokratische Regierungschefin Norwegens hat sich mit dem nach ihr benannten Globalreport über Entwicklung und Umweltschutz auch in den Hauptstädten vieler „Drittwelt“-Staaten einen guten Namen gemacht. Zudem hat die UNO hinsichtlich der Berücksichtigung von Frauen für Führungspositionen einen riesigen Nachholbedarf — mit der Japanerin Sadako Ogata als neuer Flüchtlingshochkommisarin gelangte Anfang diese Jahres zum erstenmal überhaupt eine Frau an die Spitze einer der zahlreichen UNO-Fachorganisationen.
Gegen Brundtland sprechen jedoch die — ungeschriebenen — Regeln des Regionalproporzes. Nach dem Norweger Tryge Lie, dem Schweden Dag Hammarskjöld und dem Österreicher Kurt Waldheim wäre die Norwegerin bereits die vierte europäische Generalsekretärin. Der „Rest der Welt“ wurde bislang erst zweimal berücksichtigt — mit dem Asiaten U Thant (Birma) und dem Lateinamerikaner Perez de Cuellar (Peru). Jetzt bestehen die afrikanischen Staaten darauf, „an der Reihe“ zu sein. Im April verhinderten sie — unterstützt von anderen „Drittwelt“-Ländern —, daß der UNO-Sicherheitsrat einen Brief an alle 161 Mitgliedsstaaten schickte mit der Bitte, sich Gedanken über mögliche KandidatInnen zu machen. Auf einen gemeinsamen Vorschlag konnten sich die 56 afrikanischen Regierungen jedoch bislang — wie auch bei den vorausgegangenen Generalsekretärs-Wahlen — nicht einigen. Seit geraumer Zeit sind ernsthaft die Namen des Finanzministers von Zimbabwe, Bernard Chidzero sowie des derzeitigen Generalsekretärs der UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation (UNCTAD), Keneth Dadzie aus Ghana, im Gespräch. Beide wissen sich auch der Unterstützung ihrer Regierungen sicher. Im Kandidatenkarussell tauchen auch der ehemalige UNO-Botschafter Ugandas, Olara Otunnu und UNO-Untergeneralsekretär James Jonah aus Sierra Leone auf. Anfang Juni will die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) versuchen, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.
Ein von außen kommender Generalsekretär brauche zu lange, um sich in dem komplizierten Apparat der Weltorganisation mit allein 14.000 MitarbeiterInnen in der New Yorker Zentrale einzuarbeiten — mit diesem Argument wird für Kandidaten geworben, die direkt aus dem Apparat kommen, oder diesen zumindest aus früheren Erfahrungen gut kennen. Das verbessert die Aussichten für einen Mann, der seit Jahren um Profilierung als de Cuellars Nachfolger bemüht ist: Sadruddin Aga Khan, als 32jähriger zwischen 1965 und 1977 bereits UNO-Flüchtlingshochkommissar, seit drei Wochen „Sonderbeauftragter“ des Generalsekretärs für das humanitäre Programm der UNO in der Golfregion. Um derart publicityträchtige Aufträge bewarb er sich in der Vergangenheit mehrfach erfolgreich bei de Cuellar — warf sie dem Generalsekretär jedoch auch rechtzeitig wieder vor die Füße, bevor sein Scheitern allzu offensichtlich wurde oder das Interesse der Weltmedien abgeklungen war. So gab er im November letzten Jahres das ihm 1988 übertragene Amt des UNO-Koordinators für die fünf Millionen afghanischen Flüchtlinge wieder zurück. Aga Khan könnte einerseits mit der Unterstützung der USA rechnen, pflegt er doch enge Beziehungen zu George Bush seit dessen Amtszeit als UNO-Botschafter seines Landes Anfang der 70er Jahre. Durch den Vertrag über humanitäre Programme im Irak, den er gleich nach seiner Berufung zum „Sonderbeauftragten“ mit Saddam Hussein abschloß, und den das Regime in Bagdad seitdem gegen die Maßnahmen der USA, Frankreichs und Großbritanniens ins Feld führt, machte Aga Khan andererseits auch Punkte in vielen „Drittwelt“-Ländern.
Ein Generalsekretär, der aus dem Apparat kommt, ist eine zu bequeme Lösung — dieses Argument wird angeführt von jenen, die — zumal nach den Erfahrungen in der Golfkrise — auf eine Reform der UNO drängen. Stärkung der Rolle des Generalsekretärs, Veränderung der Zusammensetzung im Sicherheitsrat, Abschaffung oder zumindest Modifizierung des Vetorechts der fünf Atommächte — so lauten die wichtigsten Vorstellungen für diese Reform. Auch wenn nach einer — ebenfalls ungeschriebenen — Regel der UNO-Generalsekretär nicht aus einem der fünf Staaten mit Vetorecht kommen sollte: Vielleicht wäre der weltweit anerkannte Schewardnadse als Vertreter eines Landes, das Rechte abzugeben hätte, gerade deshalb die richtige Person, um diese Reformvorstellungen auch umzusetzen.
Scheitern könnte die Kandidatur des Georgiers an einer Bedingung, die er am Sonntag selbst setzte. Er will nicht gegen Perez de Cuellar antreten. Der hatte noch im Januar angekündigt, 1991 sei sein „letztes Jahr auf diesem Posten“. Inzwischen will er das nicht mehr wiederholen, seitdem nämlich Frankreich vorgeschlagen hat, die Amtszeit des Generalsekretärs von fünf auf sieben Jahre zu verlängern.
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