: Verkehr in Hemelingen — die Hölle
■ Wie Autos und LKWs die Hemelinger zum Wahnsinn treiben
Ein Paradies war es noch nie, aber jetzt ist es die Hölle, was die Anwohner der Schlengstraße und des Brüggewegs in Bremen-Hemelingen derzeit an Verkehrslärm ertragen müssen. Von morgens halb fünf an toben Werks- und LKW-Verkehr von Daimler- Benz über die als Wohnstraße ausgewiesenen Pisten. Schwere Brummer mit 30, 35 Tonnen donnern über die Asphaltdecken, die regelmäßig reißen. Die Kantsteine sind sind mehrmals gebrochen unter dem Gewicht der Zugmaschinen, die an der Kreuzung Brüggeweg/Bruchweg/Schlengstraßeaus der Fahrbahn ausbrechen, um sich am Abbiegerverkehr vorbeizumogeln.
Um halb drei nachmittags, wenn bei Daimler die erste Schicht nach Hause fährt, kommen die Staus dazu: Dann rollen die Autobauer aus Nienburg, Delmenhorst, Oldenburg, Verden, Braake Achim..., zwei Kilometer in 20 Minuten, zur Autobahn, stinken die Straßen voll, und in den ersten zwanzig Minuten hilft da kaum noch der Kat: Alles in die Lungen, alles auf die Ohren, alles an die Nerven.
Der Arzt Wolfgang Woerner betreibt in einer Nebenstraße des Brüggewegs eine allgemeinmedizinische Praxis. „Vom gesundheitlichen Standpunkt aus müßte ich sagen: Bloß weg hier.“ Seine Patienten leiden vermehrt an Schlafstörungen, hohem Blutdruck und Nervosität. „Natürlich kann man nicht sagen: Nach dem dritten LKW tut mir die linke Zeh weh, aber es liegt auf der Hand, daß die enorme Verkehrsbelastung auf die Gesundheit der Anwohner schlägt“.
Bis zu 95 Dezibel haben Anwohner der Schlengstraße, Fenster auf Kippe geöffnet, in ihrem Wohnzimmer gemessen. Das entspricht der Lautstärke eines zivilisierten Rock-Konzertes. 65 Dezibel hat das Meßgerät in vier Stunden nicht unterschritten. Wie hoch die Schadstoffe durch die Abgase in der Luft konzentriert sind, ist derzeit noch unbekannt, da die Stadt ihre Meßwerte für den Bremer Osten in der ruhig gelegenen Saarburger Straße mißt. Keine Daten, keine Gefahr.
Jedenfalls augenscheinlich nicht für den Menschen, denn an der Donnerkreuzung in Hemelingen registriert die Polizei kaum nennesnwerte Unfälle. „Kann ja auch nicht, die stehen ja fast immer“, kommentiert Detlef Saaber, Verkehrsexperte auf dem Polizeirevier in Hemelingen. Fahrverbot nachts in der Schlengstraße? „Die LKWs kommen von weit her, glauben Sie, die nehmen den Umweg über das Bremer Kreuz? Die legen sich lieber eine halbe Stunde eher schlafen“.
In der Zeit des nächtlichen Fahrverbotes registrierten sie 186 LKWs, insgesamt kamen sie an einem Tag auf 17.000 Autos, plus 1.370 Lastwagen und 400 betriebsinterne LKWs, die Material von dem Außenlager Funkschneise ins Daimler-Werk schaffen. Seitdem die Hemelinger Firma Europa-Karton in der Funkschneise baut, gibt es zusätzlichen Baustellen-Verkehr: Auf dem neuen Werksgelände müssen 30.000 Kubikmeter Boden ausgetauscht werden.
„Man kann das nicht mehr darstellen, mit welcher Kriminalität sich hier der Verkehr durchsetzt“, beschrieb der Hemelinger Ortsamtsleiter Hans-Dieter Rissland in der letzten Woche die Verkehrssituation in der Schlengstraße. Der „Moloch Verkehr“ zerstöre die Mischkultur Hemelingens, in der Bauernhöfe neben Kleingewerbe und Mittelstand angesiedelt seien. „Der Verkehr muß raus hier aus dem Stadtteil, sonst gibt es eine mittelschwere Palastrevolution in Hemelingen“, prophezeit er dem Bremer SPD-Senat, der nach dem Scheitern des Tunnelprojektes eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Gewoba-Chef Eberhard Kulenkampff eingesetzt hat, um Hemelingens Verkehrsprobleme zu lösen. Die „Tunnellösung“, die den Verkehr vom Autobahnzubringer bis zum Daimler-Werk unter die Erde verbannen sollte, wurde angesichts der stolzen Kostenschätzung von 500 Millionen Mark aufgegeben.
42.000 Menschen wohnen heute in Hemelingen. Der Ortsamtsleiter hätte eine Lösung: Ausbau der Osterholzer Heerstraße zu einer vierspurigen Zubringerstraße und eine stark regulierende Verkehrsführung für Hemelingen.
Das alles natürlich möglichst schnell, denn bereits seit fünf Jahren, genau: mit der Öffnung des Tunnels zum Autobahnzubringer Hemelingen am 15. November 1986 halten die Anwohner ihre Nerven hin für die Verkehrssünden des Senates. Dabei sind es nicht nur die, die allmählich verschleißen: Kaum ein Haus steht in der Schlengstraße oder am Brüggeweg, dessen Mauerwerk nicht von einem Netz feiner Risse durchzogen ist. Die starken Erschütterungen durch die schweren LKWs lassen Dachziegel und Badezimmerfliesen bersten, ganze Wände geben der Spannung nach und reißen durch wie Papier. „Wir haben Herrn Wedemeier angeboten, daß er mit uns sein Haus tauscht“, erzählt Fritz Hain aus der Schlengstraße 10, „aber der wollte wohl nicht, jedenfalls hat er sich nicht gemeldet.“ Markus Daschner
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