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Mann in Leder, Auspuff verchromt

■ »Burn-Out« und 20.000 Besucher beim 5. Berliner US-Car-Meeting/ Straßenkreuzer wurden zwischen Campingstühlen und Thermoskanne präsentiert/ »Ich setze mich rein und freue mich«

Schönefeld. Mike Tissat drückt auf das Gaspedal seines rot-metallic-farbenen Chevrolet-Caprice. Der 300-PS-Motor beginnt zu dröhnen, die Tacho-Nadel bewegt sich nicht, der Wagen bleibt stehen, die Hinterräder des Chevis drehen durch und laufen heiß. Weißer Qualm steigt auf, ein leichter Wind weht den Geruch nach verbrannten Gummi über die Köpfe der Schaulustigen hinweg. Auf dem alten Teil des Flughafens Schönefeld warnt Sammy über die Lautsprecher der 20 Meter entfernten Bühne, daß der schwarze Reifenabrieb die Klamotten bespritze — zu spät. Das Spektakel, bei dem der Wagen auf der Stelle stehenbleibt, weil der Fahrer beim Gasgeben geschickt bremst, nennt sich Burn-Out — Ausbrennen. Die Reifen kann man danach wegwerfen, doch dieses Mal interessiert das den Potsdamer Chevi-Fahrer nicht. Von drei Mitstreitern hat er am längsten das Pedal getreten und gewinnt 500 Mark. Der Preis für zwei neue Pneus.

20.000 Besucher waren am Wochenende zum 5. Berlin US-Car- Meeting gepilgert. Für fünf Mark Eintritt durften sie auf dem Flughafengelände rund 100 amerikanische Straßenkreuzer, Off-Roaders, Wohnmobile und Rennwagen bestaunen, von denen die meisten aus dem Westteil Berlins gekommen waren. Nur drei kamen aus den neuen Bundesländern angefahren. Durchweg gehörten die anachronistischen Fortbewegungsmittel, deren Auspuffe und Motorteile verchromt waren, zu Männern mit längerem Haar und Lederkluften.

Wolfgang Buchwald präsentiert seinen knallroten Corvette Sting Ray. Zwischen dem Gedränge der Schaulustigen hat es sich der Charlottenburger Werkstattbesitzer zusammen mit seiner Frau auf Campingstühlen bequem gemacht — an Picknickkorb und Thermoskanne fehlte es nicht. Mit der 27 Jahre alten Corvette (Wert etwa 85.000 Mark) fährt er — »sonntags, wenn schönes Wetter ist« — auch durch die Havelchaussee. Der Siebeneinhalb-Liter- Motor verbraucht auf 100 Kilometer 25 Liter. Für den 52jährigen ist das US-Mobil Hobby, und seine Frau Dagmar bedauert es nicht, daß die Freizeitbeschäftigung eine Menge Geld verschlingt. »Es ist auch mein Hobby«, erklärt die 49jährige: »Ich bin fürs Putzen zuständig.« Auf Geschwindigkeit bestehen die Buchwalds nicht. Tempo 100 auf der Avus finden sie richtig, weil man aufgrund des vielen Verkehrs nicht schneller fahren sollte.

Mike Tissot, der Potsdamer Burn- Out-Fahrer, hat sein 10 Jahre alter Chevi bisher 3.000 Mark gekostet. Der Mann mit Jeansjacke und schwarzer Schirmmütze war gleich nach dem Fall der Mauer in den Westen geeilt und hatte sich den erstbesten amerikanischen Sportwagen gekauft, inzwischen hat er zweimal gewechselt. Von dem »Fahrfeeling« amerikanischer Blechkarossen ist der 24jährige Mitarbeiter eines Schrottplatzes begeistert: »Ich setze mich rein und freue mich.« Früher sei er mit seinem Moped auf die Raststätte Michendorf gefahren und habe gehofft, dort amerikanische Wagen angucken zu können, erzählt er aus DDR-Zeiten. Wenn das Geld für den Chevi einmal nicht mehr reichen sollte, müsse er ihn verkaufen, sagt Tissot. Er sei erst einmal mit dem Straßenkreuzer über 200 Sachen gefahren, »nachts auf einer Schnellstraße in Teltow«. Die diskutierten Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autobahnen hält er »irgendwie für richtig«, er fahre ohnehin nur 120km/Stunde. Gestern sollten die 50 schönsten Wagen prämiert werden. Sammy Tosuner (31), Veranstalter, wehrte sich gegen Vorwürfe, daß durch die Angeber-Show die Raserei auf den Straßen gefördert werde. »Wir wollen keine platte Show«, sagte der Werbefachmann. Er wolle Wettrennen dort ermöglichen, wo es ungefährlich sei, und warb für die nächste Veranstaltung in 14 Tagen auf dem Flughafen Alteno/ Luckau. Dirk Wildt

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