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Run auf den Tiergartener Stefankiez

■ Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. präsentiert Gutachten zum Milieuschutz im Tiergartener Stefankiez/ Wie Modernisierung angestammte Mieter verdrängen kann/ Hohe Mieter-Fluktuation

Moabit. Alt und grau ist die Fassade des Hauses in der Moabiter Stefanstraße. Erst beim näheren Hinsehen bemerkt man, daß darin neue Plastikfenster prangen. Auch die Klingelanlage ist neu, und demnächst werden Zentralheizung und Bäder eingebaut. Dafür verdoppelt sich die Miete — mindestens. Nur instandgesetzt wurde das Haus nicht, so daß unter den neuen Kacheln wohl demnächst die Balken zu faulen beginnen. Denn der Eigentümer macht nur, was auch auf die Miete umzulegen ist, also Geld bringt.

Durch diese Art der Modernisierung wird die angestammte Bevölkerung zunehmend verdrängt. Dieses Fazit zog die Moabiter Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. nach einem Gutachten, das gestern der Presse vorgestellt wurde. 10.800 Menschen leben im Stefankiez in 5.300 Wohnungen, fast 2.000 davon wurden in den letzten 15 Jahren privat modernisiert, stellte der Stadtplaner Sigmar Gude fest. Diese Wohnungen sind nun wesentlich teurer: Die Durchschnittsmiete im Stefankiez beträgt 4,70 Mark pro Quadratmeter. Wohnungen, die seit 1987 privat modernisiert wurden, kosten im Schnitt über neun Mark den Quadratmeter. Und für Wohnungen, die in diesem Jahr modernisiert werden, werden bis zu 15 Mark den Quadratmeter verlangt. Nur 40 Prozent der alten Mieter wohnen nach der Modernisierung noch in ihren Wohnungen. Die neuen Mieter seien in der Regel nicht alteingesessene Moabiter, sondern besserverdienende Leute von außerhalb Tiergartens, die keine hohe »Gebietsbindung«, so Gude, hätten. Es zögen allerdings wegen der Wohnungsnot auch solche Leute in die teuren Wohnungen, die sich die eigentlich gar nicht leisten können, nur um desto rascher wieder auszuziehen. Und eine hohe Fluktuation läßt die Mieten noch schneller steigen. Alte Menschen und Familien mit Kindern werden aus Moabit vertrieben, zumal die Wohnungen nach der Modernisierung meist auch kleiner werden.

Das Bezirksamt Tiergarten hat deshalb eine sogenannte Erhaltungsverordnung zum Schutz des Milieus der Bevölkerung aufgestellt. Nach dieser Verordnung werden Bau— und Modernisierungsanträge nur noch genehmigt, wenn die Miete hinterher noch tragbar ist. In Fällen, in denen das nicht möglich ist, sollen die Eigentümer mit öffentlichen Geldern modernisieren, dann bleiben die Mieten preisgebunden. »Damit wollen wir ereichen, daß die Mieter in ihren Wohnungen bleiben können«, sagte S.T.E.R.N.-Chef Uli Hellweg. Auch das kiezansässige Gewerbe müsse man vor der Vertreibung schützen. Die Milieuschutzverordnung wird voraussichtlich in diesem Sommer von der Senatsumweltverwaltung festgesetzt. Das Bezirksamt will solche Verordnungen auch für den Beussel- und den Huttenkiez ausweisen. esch

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