: Von der „Propaganda due“ zur „Propaganda totale“?
Drei Viertel der italienischen Medien sind in den Händen von drei Herren, die direkt oder indirekt in den Fall der „Loge Propaganda2“ verwickelt sind ■ Aus Rom Werner Raith
Der eine trägt den Ehrentitel „Ritter“, der andere läßt sich „Ingenieur“ rufen. Dem dritten begegnen die Menschen mit einem respektvollen „Don Giuseppe“. Der Ritter, „cavalier“ Silvio Berlusconi, ist groß geworden als Bauunternehmer in Mailand (Satellitenstädte „Milano I“ und „Milano II“) und seit mehr als einem Jahrzehnt unumschränkter Herrscher der TV-Privatkanäle Italia1, Rete4, Canale5; „l'ingegnere“, Carlo de Benedetti, ist Chef des Hauses Olivetti und der Superholding CIR; und „Don“ Giuseppe Ciarrapico, der „König des Mineralwassers“ Marke Fiuggi, das angeblich die Verdauung fördert, ist neuerdings auch Präsident des Fußball- Traditionalclubs AS Roma.
Die Trias Berlusconi-De Benedetti-Ciarrapico herrscht, außer über fast das gesamte landesweite Privatfernsehen, jetzt auch über die größte und international meistzitierte Tageszeitung 'La Repubblica‘ und über die angesehensten und auflagenstärksten Politmagazine 'L'Espresso‘ und 'Panorama‘, gebietet mit dem Verlagshaus Mondadori über den größten Buch-, Schallplatten- und Periodical-Konzern Italiens, dazu mit dem Verlagshaus Einaudi auch noch über die traditionsreichste Bücherproduktion des Landes. Außen vor geblieben bei der Aufteilung des Medienmarktes ist lediglich die Gruppe Rizzoli-Corriere della sera, die mit ihrem Flaggschiff 'Corriere della sera‘ und einigen Sport-Tageszeitungen mehrheitlich dem Fiat- Konzern gehört, und die ganz im Privatbesitz der Fiat-Familie Agnelli befindliche 'La Stampa‘, zusammen ein Rest von knapp 17 Prozent.
Dabei sind die drei Herren ziemlich ungleich: Berlusconi und de Benedetti können überhaupt nicht miteinander, ja ersterer hatte gar versucht, letzerem 1989 kurz vor dem Kauf von Mondadori (einschließlich der Gruppe 'L'Espresso‘ mit 'la Repubblica‘) dessen Presse-Anteile zu entwinden, was einen fast eineinhalb Jahre dauernden Krieg vor den Gerichten auslöste, der in einer Patt-Situation endete.
Genau an dieser Stelle trat nun jener Hüne auf, der seither alle Zeitungen mit seiner finanziell und physisch massigen Gestalt füllt: Giuseppe Ciarrapico, enger Freund und ökonomischer Berater des derzeitigen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, bisher auf dem Mediensektor nicht vertreten („Aber das macht nichts, schließlich verstehe ich auch nichts von Fußball und habe dennoch AS Rom gekauft“). Angeblich wollte er zwischen Berlusconi und de Benedetti vermitteln. Doch wie das Schicksal so spielt: Auf einmal hält der Makler selbst ein ansehnliches Paket der Verlage. Aber angeblich nur, um als „Garant“ den Vertrag überwachen zu können.
Mondadori, um den der Herr der Fernsehsender und der der Elektronikgeräte rangeln, wird aufgeteilt. Berlusconi kriegt 'Panorama‘ und nahezu die gesamte Buchproduktion, ein Jahresumsatz von etwa 2,2 Milliarden DM. De Benedetti bekommt 'la Repubblica‘ und 'L'Espresso‘ sowie einige lokale Blätter, Umsatz um die 1,2 Milliarden DM.
Da jeder vom jeweils anderen ebenfalls noch Pakete halten darf, ist Ciarrapico immer dann gefragt, wenn's kracht. Und das wird, sieht man die politische Provenienz der beiden an — Berlusconi stramm neokonservativ, im Fahrwasser der Sozialisten des Bettino Craxi, de Benedetti eher von der „progressiven Kapitalsfraktion“ und ideologisch linksliberal — wohl ständig der Fall sein. Der Vermittler könnte also über kurz oder lang zum Entscheidungsträger werden: Andreotti reibt sich die Hände.
Doch die drei Medien-Musketiere Berlusconi, de Benedetti und Ciarrapico haben durchaus auch Gemeinsamkeiten: Alle drei sind mehr oder weniger in einen Skandal verwickelt, der seit zehn Jahren die Nation beschäftigt: den um die 1981 aufgeflogene Geheimloge „Propaganda 2“. Die hatte der in Frosinone südlich von Rom produzierende Matratzenfabrikant Licio Gelli („Maestro Venerabile“, Verehrungswürdiger Meister) ins Leben gerufen und dafür an die tausend VIPs zusammengebracht: Minister und Staatssekretäre, Parteivorsitzende und Geheimdienstchefs, Generäle und Polizei- Obere, Top-Journalisten und Bankiers.
Auf der Liste fand sich auch der Name Berlusconis, der seinen Eintritt in den Männerbund zwar zugab, jedoch leugnete, jemals etwas von dessen (in allerlei vertraulichen Rundschreiben ausführlich bekanntgemachten) rechtslastigen bis putschistischen Zielen erfahren zu haben. De Benedettis und Ciarrapicos Namen standen nicht auf der Liste — und dennoch holt nun auch sie der Schatten der „P2“ machtvoll ein: Sie hatten intensiv mit jener Bank zu tun, die in den siebziger Jahren zu den größten Finanzhäusern Europas gehörte und neben legalen auch viele Schiebergeschäfte um Waffen tätigte — und auch die Hausbank der „P2“ war: der Mailänder „Banco Ambrosiano“. 1981 krachte das Geldinstitut mit einem Loch von mehr als einer Milliarde Lire zusammen; Bankchef Roberto Calvi, P2-Mitglied und enger Freund des Maestro Gelli, wurde erhängt unter der „Brücke der Schwarzen Brüder“ in London aufgefunden.
Verwickelt waren in den Krach auch allseits als ehrenwert eingeschätzte Institutionen, wie die Vatikanbank IOR unter ihrem Chef Erzbischof Marcinkus. Beim Prozeß um betrügerischen Bankrott gegen drei Dutzend ehemalige Bankmitarbeiter und Sozien, der sich seit einem Jahr in Mailand hinschleppt, stehen freilich keine Kirchenvertreter vor Gericht — das Verfassungsgericht billigte Marcinkus und anderen IOR- Chefs diplomatischen Status und damit Nichtverfolgbarkeit zu.
Das aber gilt nicht für andere, die möglicherweise aus der schon abstürzenden Bank noch ein Häppchen abzweigten, und da kamen nun de Benedetti und Ciarrapico ins Fadenkreuz der Ermittler. De Benedetti soll aus der Bank noch seinen Anteil — er war dort Sozius — von umgerechnet an die 80 bis 100 Millionen DM herausgenommen haben, als diese schon überschuldet war; das aber gilt als Beteiligung am betrügerischen Bankrott. Ciarrapico wiederum hatte sich bei der Bank einen Kredit von knapp 50 Millionen DM geborgt und ausschließlich darauf sein Imperium aufgebaut — laut Anklage ohne ausreichende Absicherungen für das geliehene Geld. Vermittelt worden war der Deal wohl vom Logenmeister Gelli persönlich — Ciarrapico baute sein Wässer-Imperium just in Forsinone auf, dem Ort, an dem auch Gelli seine Matratzen fabrizierte.
Während der Fall Ciarrapico, wenigstens nach Darstellung der Staatsanwaltschaft, einigermaßen klar ist, weil an dem Kredit kein Zweifel ist und auch nicht an der mangelnden Absicherung, hat de Benedetti bessere Karten: Obwohl sich bereits achtzehn Staatsanwälte mit dem Fall beschäftigten, scheint es Schwierigkeiten mit dem Nachweis zu geben, daß der „Ingenieur“ um den desolaten Zustand der Bank wußte, als er ausstieg — und nur dann wäre die Sache ja strafbar. Auf alle Fälle hat de Benedetti erreicht, daß sein Prozeß abgetrennt wurde von dem eigentlichen Ambrosiano-Prozeß und er so wenigstens nicht allzu sichtbar in die trüben Skandale um die Loge Propaganda2 verwickelt wird.
Das Erstaunliche bei alledem: Obwohl sich abzeichnet, daß Italiens Medien nun voll in der Hand von Personen sind, die allesamt ziemlich ehrenrührige Verfahren am Hals haben, scheint das die meisten Presseorgane — sieht man einmal von 'il manifesto‘ aus der linken Ecke ab — kaum zu berühren: Die Verhandlungen werden dargestellt wie die Hin- und Rückspiele im Fußball.
Selbst die Konkurrenzblätter — etwa die der Fiat-Gruppen — zeigen keine Neigung, den Finger in die Wunde zu legen. Und das staatliche Fernsehen — nun ja, dort tummelt sich bis heute so mancher, der ebenfalls auf der Liste des Logenmeisters Licio Gelli stand. Auch das Parlament ist eher schweigsam — das muß, zumindest was die Regierungsparteien angeht, allerdings nicht wundern, sind die Abgeordneten doch stark daran interessiert, den P2-Skandal baldmöglichst vergessen zu machen. Im Augenblick nämlich sind sie dabei, die erste in eine „zweite Republik“ nach dem Muster de Gaulles durchzupauken: Der Staatspräsident würde dann direkt gewählt und wäre vom Parlament nicht absetzbar. Er könnte dann den Ministerpräsidenten auch gegen die Parlamentsmehrheit halten. Und diese autoritäre Wende entspricht fast bis aufs i-Tüpfelchen jenem Plan, den Logenmeister Gelli einst als Ziel seiner Loge angegeben hatte.
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