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Gorbatschow über Honecker: Zuletzt blind für die Realität

Hamburg (dpa) — „Er wollte keine Perestroika, keine Reformen und keinen Fortschritt. Die Entwicklung des Genossen Honecker ist ein großes persönliches Drama.“ So dachte der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow über DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker in dessen letzten Amtsjahren. Das enthüllt die 'Bild‘-Zeitung, die in ihrer Montagausgabe aus der geheimen Verschlußsache ZK 02/648 des DDR-Politbüros zitiert. Nach diesen Angaben äußerte sich Gorbatschow nach dem vom Politbüro erzwungenen Rücktritt Honeckers am 18. Oktober 1989 bei seinen Gesprächen mit dem neuen DDR- Regierungschef Egon Krenz am 1.November 1989 über Honecker mit kritischer Distanz.

„In den letzten Jahren habe ich bei ihm gewisse Veränderungen festgestellt. Noch 1986 und 1987 hätte er die Möglichkeit gehabt, grundlegende Korrekturen anzubringen. Aber Genosse Honecker hat ja auf niemanden mehr gehört. Er hat sich offenbar für die Nummer eins im Sozialismus gehalten, wenn nicht sogar für die Nummer eins in der ganzen Welt. Der hat ja nicht mehr real gesehen, was wirklich vorging.“ Laut 'Bild‘ ärgerte sich Gorbatschow auch über den Oberlehrerton Honeckers. „Das war schwer zu ertragen. Er hat uns ständig in aufdringlicher Weise über angebliche Erfolge der DDR belehrt.“ Selbst bei dem letzten Gespräch Honeckers als DDR-Regierungschef mit Gorbatschow anläßlich der Vierzigjahrfeier der DDR am 7. Oktober 1989 sei dieser nur noch „verstockt“ gewesen. „Ich hatte bei diesem Gespräch den Eindruck, als hätte ich Erbsen gegen die Wand geworfen“, so Gorbatschow.

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