Für Heroinabhängige kein Methadon mehr

■ Laut Beschluß der Kassenärztlichen Vereinigung sollen Notdienststellen nach dreijähriger Erfahrung die Ersatzdroge nicht mehr ausgeben/ Ein kurzfristiger Beschluß verhindert Neuorganisation/ Ärzte streben eine einstweilige Verfügung an

Berlin. Die Behandlung Drogenabhängiger mit Methadon wird in Berlin in Zukunft schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden. In der vergangenen Woche entschied der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), daß die Ersatzdroge in den an Wochenend- und Feiertagen diensthabenden KV-Notdienststellen ab sofort nicht mehr ausgegeben wird.

Wer mit der Ersatzdroge versorgt wird, muß das Methadon regelmäßig jeden Tag unter ärztlicher Aufsicht schlucken. Gäbe der Arzt seinem Substitutionspatienten die Dosis auch nur für einen weiteren Tag mit, würde er sich strafbar machen. Für die knapp 300 Substituierten in der Stadt bedeutet der KV-Beschluß, daß sie künftig anderweitig sehen müssen, wo sie an Wochenenden und Feiertagen ihre täglich benötigte Dosis hernehmen. Den insgesamt rund 60 ÄrztInnen, die in Berlin PatientInnen mit der Ersatzdroge Methadon behandeln, wurde am 10. Mai (Freitag) per Bote oder Fax mitgeteilt, daß die Entscheidung des KV-Vorstands bereits zum 13. Mai (Montag) gültig wird.

Warum diese Eile nötig war, dazu konnte KV-Pressesprecher Wilfried Nax gestern keine Angaben machen. Der Vorstand sei der Meinung gewesen, daß die Vergabe in den Notdienststellen »so nicht mehr weitergeführt« werden könne, da dort auch Ärzte arbeiten, die die Substitution mit Methadon ablehnen. Nach dreijähriger Vergabepraxis hatte die KV außerdem plötzlich festgestellt, daß die in den 1.-Hilfe-Stellen tätigen Ärzte nicht über das entsprechende Wissen verfügten. Die mit Methadon behandelnden Ärzte sollten die Vergabe statt dessen »in eigener Regie« fortführen.

Es sei jedoch unmöglich, innerhalb von fünf Tagen vor Pfingsten eine nach der Betäubungsmittelverordnung geforderte tägliche Vergabe der Ersatzdroge zu organisieren, erklärten gestern die substituierenden Ärzte. In einer »Nacht- und Nebelaktion« werde die Versorgung von substituierten Heroinabhängigen unmöglich gemacht. »Sollen wir die Leute jetzt etwa einfach wieder auf die Szene schicken?« reagierte die Vorsitzende der Clearingstelle in der Berliner Ärztekammer, Constanze Jacobowski, empört. Es bestehe der Auftrag an die Ärzte, die Vergabe mit Methadon sicherzustellen — dies aber schlösse auch die Notdienststellen mit ein.

Wolfgang Schichterich von der Berliner Aids-Hilfe vermutet, daß so der Methadonbehandlung »auf kaltem Wege« der Garaus gemacht werden soll. »Die Ärzte müßten sich entweder aufs Glatteis führen lassen und die Ersatzdroge illegal ausgeben oder aber die Vergabe zu ihrem Privatproblem machen lassen.« Wer kein Methadon mehr erhielte, müsse sich auf kriminellem Weg anderswo eine Droge beschaffen — »an die individuelle und gesellschaftliche Entlastung durch Methadon denkt mal wieder niemand.« Auch im Junkie- Szeneladen STRASS, der 35 Substituierte betreut, schwebte man gestern vor Empörung »halb unter der Decke«.

Von der zuständigen Senatsverwaltung für Jugend war gestern niemand zu erreichen. Wie der taz jedoch bekannt wurde, versuchen einige Ärzte, per einstweiliger Verfügung den Beschluß der KV wieder rückgängig zu machen. Auch die Ärztekammer will sich für die Rücknahme der Entscheidung stark machen. Im äußersten Notfall werde sie jedoch vorübergehend die Vergabe selber organisieren, »obwohl wir eigentlich dafür keine Kapazitäten haben«. maz