: Im Sinkflug wechselt die Lufthansa ihren Chefpiloten
Aufsichtsrat wählt den Nachfolger für Heinz Ruhnau, der zehn Jahre unumschränkt über die staatliche Fluglinie herrschte/ Für 1991 rote Zahlen erwartet ■ Von Donata Riedel
Das vergangene Jahr war für die Lufthansa (LH) das bisher schlechteste Jahr der der Nachkriegszeit. 1991 wird, das steht schon jetzt nach knapp fünf Monaten fest, das laut LH-Chef Heinz Ruhnau „schwierigste Jahr überhaupt“ für die Staatsfluglinie. Mitten im stetigen Sinkflug des Kranichs in die roten Zahlen hat gestern in Frankfurt der Aufsichtsrat den Piloten ausgewechselt. Das Gremium wählte den Ruhnau-Stellvertreter Jürgen Weber (49) zum neuen Vorstandsvorsitzenden, der bislang für das Ressort Technik verantwortlich gewesen ist.
Ruhnaus Vertrag läuft zwar erst Ende März 1992 aus, doch munkeln die Lufthanseaten, daß der 62jährige bereits im August aus seinem Amt ausscheiden will. Um die Neubesetzung des LH-Chefsessels hatte es heftige politische Rangeleien gegeben. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte schließlich die Suche nach einem Nachfolger zur Chefsache, und die eigentlich schon für Mitte März geplante Wahl Webers wurde zunächst abgeblasen.
Wer arbeitet schon für 450.000 Mark?
Kein Politiker — wie Ruhnau (SPD), der 1981 vom damaligen Verkehrsminister Volker Hauff in den Vorstandssessel befördert wurde —, sondern ein richtiger Manager aus der freien Wirtschaft sollte nach des Kanzlers Wunsch die Kranich-Linie wieder nach oben ziehen. Doch hausexterne Spitzenkräfte waren für das schmale Jahressalär von 450.000 Mark nicht einzukaufen, so daß nun doch Ruhnaus Favorit und Stellvertreter Weber zur Spitze aufstieg.
Auf „den Techniker“ wartet keine leichte Aufgabe. Der größte deutsche Flugkonzern mit 13,1 Milliarden Mark Umsatz und 56.000 Beschäftigten leidet keinesfalls nur an den Folgen des Golfkriegs (Kostenpunkt: 400 Millionen Mark), der die Passagiere vom Fliegen abhielt und die Kerosinpreise zu Beginn des Jahres kurzfristig nach oben trieb. Die verschärfte Konkurrenz von Billig- und Charteranbietern, die teure bundesdeutsche Flugsicherung und die vielen Warteschleifen am Himmel über Berlin oder Frankfurt reichen ebenfalls nicht unbedingt als Begründung für den Sinkflug aus. „Der Vogel wird auch durch jahrelang kaschiertes Mißmanagement“ des „Willkürherrschers“ Ruhnau gerupft, urteilt nicht allein das Managermagazin.
So konnte die Lufthansa die Kosten für die kräftige Ausweitung des Flugbetriebs — heute fliegen 220 Kranich-Maschinen, 1980 waren's nur 111 — nicht durch entsprechende Erlöse finanzieren. Die Personalkosten — bei der Lufthansa wird jede dritte Mark vom Umsatz für Löhne und Gehälter verwendet — haben sich nicht so einfach wie von der Geschäftsleitung gewünscht senken lassen. So sieht ein Punkt des Manteltarifvertrags nach 15 Jahren für LH- Beschäftigte die Unkündbarkeit vor. Zum Vergleich: Die British Airways kommt mit 23,3 Prozent aus. Unterm Strich hatte der Personalabbau bisher den Effekt, daß sich die einst als Kapital gelobten Angestellten zunehmend als Kostenfaktor und damit überflüssig sehen. Und schlecht motivierte Menschen arbeiten erfahrungsgemäß etwas vorschriftsmäßiger. Dazu dürfte auch die Zweiteilung der Belegschaft in Alte und Neueingestellte, für die ein schlechterer Tarifvertrag gilt, beitragen. Die Drohung gegenüber den Gewerkschaften, zur Senkung der Personalkosten notfalls Betriebsteile auszugliedern, um die Lufthansatarife zu umgehen, hat ebenfalls den Betriebsfrieden emfpindlich gestört.
Ausgeglichene Bilanz nach langem Rechnen
Wenn Heinz Ruhnau heute für 1990 eine „ausgeglichene“ Bilanz vorstellen wird, hat er an diesem Ergebnis eine ganze Weile rechnen müssen. InsiderInnen schätzen den Verlust aus dem reinen Flugbetrieb auf 600 Millionen Mark. Demgegenüber muß der Verkauf von DC-10- und Boeing-Fluggerät, das die LH jetzt zwecks Benutzung von den neuen Eigentümern least, die Erlösseite verschönern.
Je größer der Anteil auf dem Luftmarkt, desto unabhängiger vom Preiskampf der Konkurrenz, desto eher könnte die Lufthansa die Preise diktieren, war Ruhnaus Devise der 80er Jahre. Die Rechnung ging jedoch nicht auf, auch der LH-Vorstandsvorsitzende gibt inzwischen zu, daß der Anbieter mit den günstigsten Preisen für die fliegende Kundschaft am attraktivsten ist, der Preis folglich von den Linien mit den niedrigsten Kosten bestimmt wird.
Wenn die Lufthansa im schwieriger werdenden internationalen Konkurrenzkampf langfristig überleben will, braucht sie nach Meinung von Insidern neues Kapital von privaten Anlegern. In diesem und im letzten Jahr investiert die Staatslinie 6,6 Milliarden Mark, die nur zur Hälfte aus Gewinnen und Abschreibungen gedeckt werden können. Allerdings: Wenn der Anteil des Bundes dadurch von jetzt 52 Prozent unter 50 Prozent sinkt, wären für Rentenansprüche sofort drei Milliarden Mark fällig — ein Betrag, den Finanzminister Theo Waigel (CSU) angesichts des angespannten Bundeshaushalts mit Sicherheit nicht freudig zahlen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen