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Jugoslawien ohne Staatsoberhaupt

Der kroatische Vizepräsident Mesic fiel im kollektiven Staatspräsidium durch/ Folge: Die Armee hat keinen zivilen Oberbefehlshaber und freie Hand/ Montenegro blieb in der serbischen Koalition  ■ Aus Pristina Roland Hofwiler

Augenblicklich ist Jugoslawien ohne Staatschef und ohne Oberbefehlshaber der Armee. Der 57jährige kroatische Politiker Stipe Mesić, der nach der noch immer gültigen sozialistischen Verfassung von 1974 für ein Jahr zum Staatsoberhaupt gekürt werden sollte, verfehlte bei der entscheidenden Abstimmung gestern die Mehrheit. Im sogenannten kollektiven Staatspräsidium — einer Einrichtung aus Tito-Zeiten, mit der der föderative Aufbau des Landes unterstrichen und die Machtkonzentration auf eine Person vermieden werden sollte — erhielt Mesić nur vier der acht zu vergebenden Stimmen. Zu wenig, um Staatschef zu werden.

War die Ernennung in »alten sozialistischen Zeiten« eine reine Formsache, ein Ritual, nach dem jedes Jahr ein anderer Spitzenpolitiker einer anderen Nation innerhalb des Vielvölkerstaates die Staatsgeschäfte übernahm, so entbrannte nun im Zuge der nationalistischen Ausschreitungen der letzten Wochen ein erbitterter Kampf um dieses höchste Staatsamt. Nach der Verfassung hätte Mesić den bisher amtierenden Serben Borisav Jović ablösen sollen. Man wußte zwar, daß dogmatische Militärkreise und serbenfreundliche Republiken die Nachfolge von Jović zu verhindern trachteten, doch glaubte man noch am Dienstag, keine Seite werde bis zur offenen Staatskrise provozieren, da die Probleme im zusammenbrechenden Jugoslawien zu dramatisch sind, als daß es noch möglich wäre, zusätzlich eine glühende Lunte an das national-explosive Pulverfaß zu legen.

Doch gestern wurde jede Vernunft mit Füßen getreten. Mesić bekam nur die Stimme seiner kroatischen Republik, von Slowenien, Mazedonien und Bosnien. Der Süden, das heißt die Republik Serbien mit den Provinzen Kosovo und Vojvodina sowie Montenegro, bestätigten den Kroaten nicht. Ausschlaggebend war, daß Montenegro, das weiterhin von Realsozialisten kontrolliert wird, im Bündnis mit Serbien blieb. Wäre Mesić gewählt worden, so wäre erstmals seit Kriegsende ein Nicht-Kommunist Staatsoberhaupt des Balkanstaates geworden. Nun sind die politischen Folgen für das kriegsgeschüttelte Jugoslawien nicht mehr abzusehen, sollte nicht in einem zweiten Anlauf im höchsten Machtorgan Jugoslawiens eine Übereinkunft gefunden werden.

Bleibt diese aus, wird der Vielvölkerstaat noch unregierbarer, kann von allen militanten nationalistischen Kreisen noch unverblümter Alltagsterror ausgeführt werden und wächst die Gefahr, daß dogmatische Militärkreise zum Putsch ausholen. Denn es gäbe keine politische Instanz mehr, die den Oberbefehl über die Streitkäfte innehalten würde. So die derzeitige Verfassung. Andererseits hätte Stipe Mesić — angeblich mehr im Spaß — am Dienstag gewarnt, sollte er nicht als Staatschef bestätigt werden, würde die Republik Kroatien sofort ihre Unabhängigkeit ausrufen und jede militärische Intervention von Belgrad als »Angriff auf einen souveränen Staat« bewerten. Worte, die sehr nach Bürgerkrieg schmecken. Ohne rasche Einigung wird die oft herbeigeredete Bürgerkriegsgefahr rasch zur Realität werden.

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