: Theatersplitter
■ Berliner Off-Bühnen am Wochenende
Doppelt hält besser: im Kulturhaus Tacheles gibt's an diesem Wochenende eine Theaterpremiere und gleichzeitig die Premiere des Theaters. Im riesengroßen Kinosaal hat sich die Gruppe IKARON einquartiert und gibt nun ihre Version schwermütiger Abgesänge destruktiver Endzustände der Öffentlichkeit preis. Grundlage ist das Aussteiger-Stück »Quai West« des Franzosen Bernard Marie Koltès. Ort der Handlung: ein verwahrlostes Hafenviertel, inspiriert durch die mörderischen Slums von Westharlem und der Bronx. Ein von der Zivilisation aufgegebener Platz, Herberge für kleine Mörder und kleine Räuber; oder wie der Autor selber meinte: »Innerhalb einer organisierten Stadt ein Gebiet wie ein Stück wilder Wiese«. Klar, daß IKARON unter der Leitung des Regisseurs Carlos Medina (Berliner Ensemble) auf das Tacheles als Aufführungsort gekommen ist. Bis man sich voll den Zersetzungsprozessen der monologischen Sprache des Stücks hat widmen können, mußte man zuerst die zerstückelte Realität wieder zusammenbauen und im Kampf mit Staub, Bruch und Kälte den Raum für's Theater erstmal wieder gangbar machen. Durchhaltevermögen und Begeisterung haben den Theaterabend möglich gemacht. Jetzt kann das Publikum kommen, um das Hafenviertel der Handlung gefahrlos zu bestaunen, von dem es heißt, man solle es nicht ohne Grund und nicht ohne Waffe betreten. Fr. (Premiere), Sa, So, 20.00, im Tacheles. baal (Foto: Gisela Harich)
Im Abend in Neukölln spielt der 1.Jahrgang der Berliner Theaterschule ihre »Endstation Bagdad« — eine kabarettistische Aufbereitung dessen, was sich der Fernsehzuschauer zu Golf-Kriegszeiten bieten lassen mußte. Und schlagartig fallen einem als Zuschauer all die Zynismen, die unerledigten Ängste, die Wut über das eigene hilflose Rudern im gigantischen Telekommunikations-Meer wieder ein — ja richtig, so gnadenlos unterkühlt wurde über Tod und Totschlag parliert, wie es jetzt jene Neun auf der kleinen Bühne wieder tun. Und da ist auch gleich der Haken des Abends: Die Wirklichkeit ist bisweilen haarsträubender als Kabarett. Sie schaffen es dennoch: Man lacht, und plötzlich wird der Hals enger, zum Kloß geschnürt. »Wir kamen dann auf die Idee, auch einmal selbst etwas zu tun«, berichtet eine bayrische Familie stolz in die Fernsehkamera der Reporterin, den Iraker aus der Firma, den haben sie zum Abendessen eingeladen und — »jetzt hängt er da«, am Strick, hinter der Fernsehcouch. Nein, jetzt wo der Krieg zuende ist, da solle man das eher nicht mehr nachahmen, aber die Hilfsorganisationen übernähmen gerne die Restebeseitigung. Auch die unsäglichen Expertenrunden leben in dieser fiktiven Fernsehsendung wieder auf, wirklich variantenreich spulen zwei Spielerinnen das Null-Gespräch von sechs zum Thema »Frau und Krieg« geladener »Fachfrauen« ab. Hier sitzt so vieles, daß man kleine Schwächen übersieht, und wenn eine amerikanische GI beim Strip bekennt: »Ich war die Geliebte von — Saddam« dann weiß man wirklich nicht mehr, ob man sich nun ekeln oder kringeln soll. Der Texter (Michael Frowin) ist -kein Wunder- inzwischen ans Düsseldorfer Kommödchen abgeworben worden, die anderen kann man Fr-So um 21.00 im Abend bewundern. Joachim Schurig
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