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Meine geheimen Jugendgedichte

■ taz-Autoren und Autorinnen öffnen ihre Schubladen — heute Folge 1: Lokalredakteur Hans-Hermann Kotte

Viel ist auf diesen Seiten einer freizügigen Zeitung in einer freizügigen Welt schon enthüllt worden. Ab heute aber werden sich in unregelmäßigen Rhythmen persönliche und damit auch gesellschaftliche Abgründe auftun. Das sind wir, die Voll- SchreiberInnen dieser Seiten unserer Vergangenheit schuldig. Auch zu schon verlassenen Positionen bzw. auf halber Strecke verendeten Stilübungen muß man stehen, um die Brüche und Verwerfungen kenntlich zu machen und gemeinsam verarbeiten zu können. Kommende Schreib- und Dichtgenerationen werden es uns danken. So werden sich in den folgenden Wochen die geheimsten Leidenschaften, Antriebsfedern und vielfältigste Verzweiflungen bzw. Betroffenheiten niederschlagen, mehr oder weniger in Versform, denn wenn es eine immergültige literarische Form gibt, die auch jenseits, diesseits und mitten auf dem Todesstreifen ihre Ursprünglichkeit bewahrt hat, dann ist es das früh- bis spätpubertäre Jugendgedicht.

Den Anfang machen die Kurzpoesien des Lokalredakteurs Hans-Hermann Kotte, Jahrgang 1963. Sie entstanden — vor seiner Projektzeit bei der taz — in den Jahren 1980-87 in Norddeutschland und sind mit Ausnahme des Gedichts »Ödipus«, das den dritten Preis bei einem Gedichtwettbewerb der Hamburger Stadtzeitschrift ‘Tango‘ gewann, niemals veröffentlicht worden. Die Einordnung in das Kotte- Oevre überlassen wir der geneigten Leserin.

die fliegen ficken noch einmal

bevor sie ganz profan abfallen

von der wand

ins reich des fetten tilsiters

herbst:

die TÜV-plaketten welken

und ein ums andre ruhekissen

wird jetzt mit krudem öl gefüllt

die kälte kürzt

das schrumpeln möchte ich nicht

missen

wenn die kastanien

ihre gelben finger auf den asphalt

drücken

märzsonne,

nur der widersprüchliche

geruch der currywürste im bahnhof

wagt noch einen tiefschlag

auf mein frühlingsgefühl

als umweltschmuckbeauftragter

erkläre ich pollutionen

zur saubersten sache

der welt

in california

gibts

keine

orgelspieler mehr

dort

streut man

microorganisten

auf die tasten

12.4. '85

bei diesem sonnenuntergang

bekäme selbst

caspar david

skrupel.

außerdem gab's damals

kein

himbeerbrausepulver

auch ihr lemming

trimmt sich adäquat

auf dem perpetuum-mobile

von karstadt

komm aus der

dusche, ödipus,

die leitung

ist kein fruchtwasser

microwello

lichtextrakt aus klarer wintersonne

trifft mein prismaherz und

zap!

der graue brei schlägt eine bunte

frühlingsrolle

der kühlschrank brummt so

beruhigend hinter meinem

rücken ich labere die kü-

che voll aufs stichwort

übereilig den ganzen abend

schon humorvoll um jeden

preis ohne pause

jetzt

hör

ich wenigstens dem kühl-

schrank zu der kühlschrank

brummt so beruhigend hin-

ter meinem rücken.

laß mich

dein nützlicher idiot sein

dein shampoo-bolschewik

dein ehrlicher makel

oh my zena

oh mond a mine

du speisemais im fixsternmehl

du kragenöffner,

soßenbinder.

wenn du zuviel

teppichschaum schluckst

unter newtons daumen

laß mich dir ein preiswertes rad schlagen:

spatzen an die kanonen

küss mich

(irgendwo zwischen kopf

und schulter)

und zeig mir,

wie man gänse haut

die wolken sind nie im radio

täglich vereitle ich mein spiegelbild

carrera-bahn des lebens,

weißgedrückte knöchel

wieder einen tag gegen isoglas

gehaucht.

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