: Der demokratische Diskurs: vom Mittel zum Zweck
■ „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ mit neuem Vorwort: Jürgen Habermas revidiert seine pessimistische Prognose vom Niedergang bürgerlicher Öffentlichkeit/ Mit dem Rücken zur Medientheorie der Frankfurter Schule/ Ein wunderhübscher Freudscher Satzfehler auf Seite fünfundvierzig
Der ökolibertäre Blitzdenker Thomas Schmid nannte Habermas' Strukturwandel der Öffentlichkeit einmal die Grundlage des Verhältnisses der Linken zur Öffentlichkeit, und zwar „weniger, daß es eine diskursive, Entscheidung treffende Öffentlichkeit nicht mehr gibt und nicht mehr geben kann — der wehmütige Ton. Was uns damals interessierte, war, eine Bestätigung dafür zu finden, daß eine argumentative, diskursive Auseinandersetzung eigentlich keine Chancen hat.“
Das Ende bürgerlicher Öffentlichkeit als Rechtfertigung des Aktionismus der Protestbewegung also: die Medien mit Verachtung als marionettenhaften Überbau einer nur revolutionär zu verändernden Machtstruktur behandelnd.
Und doch: Einer zum Teil unbewußten Logik folgend, sind gerade die „AchtundsechzigerInnen“ so etwas wie „die Mediengeneration“ (Daniel Cohn-Bendit) geworden. Jetzt widerfährt ihnen, zumindest theoretisch, Gerechtigkeit: Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas revidiert seine pessimistische Prognose vom Niedergang bürgerlicher Öffentlichkeit. Ihre Feinde von damals haben sie gerettet. Aber es ist nicht die Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts, die vernünftige Gesetze ersinnen sollte — es ist ein Typus von Öffentlichkeit gleichsam als Naturschutzgebiet.
Habermas hat seinem „Kultbuch“ einen neuen, fünfzig Seiten starken Text vorangestellt, und vielleicht sollten wir kurz den Inhalt rekapitulieren, auch als Verführung zur Lektüre — denn besonders die Abschnitte 5 bis 10 über die Hoch-Zeiten klassischer bürgerlicher Öffentlichkeit vermitteln ein Gefühl, zivilisierte Größe einer Epoche so zu spüren, daß sie zur Nachahmung verlockt.
Habermas zeichnet die Herausbildung der öffentlichen Sphäre im Gegensatz zur rituellen, zeremoniellen Einheit von privater und öffentlicher Welt im Mittelalter. England bildete im 16. und 17. Jahrhundert eine Gesellschaft heraus, die dem Staat als „vernünftiges Publikum“ gegenüberstand. Die Clubs, die Presse, die Kaffeehäuser, die Salons hier, die Polizei und der Hof da.
Drei Tendenzen, radikal und klassisch bis heute, hoben diese bürgerliche Öffentlichkeit heraus: Markt- sowohl wie Staatsgesetze waren suspendiert, als hätten für die Diskussion alle gleichen Status; alles konnte auf die Tagesordnung gesetzt werden; und im Prinzip konnten alle teilnehmen. Auch wenn die Realität immer anders aussah — das niedere Volk blieb ebenso ausgeschlossen wie fast immer auch die Frauen —, so respektierte auch Karl Marx bei aller Kritik diese Ideologie als historisch unübertroffenen Anspruch.
Im bürgerlichen Rechtsstaat, der mit der Anerkennung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften eine sozialstaatliche Komponente erhält und auf der Kapitalseite durch Monopole und stärker werdende staatliche Regulierung gekennzeichnet ist, geht diese unmittelbare Öffentlichkeit zugrunde. Die Staatsbürger werden „mediatisiert“, sie sprechen kaum mehr unmittelbar, sondern mehr und mehr nur noch durch Großorganisationen vermittelt. Kritische Publizität wird überlagert von manipulativer, also von oben hergestellter Öffentlichkeit der Verlautbarungen, der Public Relations.
Ohnehin macht die Werbung alles zum kulturkonsumierenden statt kulturräsonnierenden Publikum. Will mensch nicht zum „Elitepublikum“ Zuflucht nehmen, bleibt allenfalls die Möglichkeit, Großverbände so demokratisch zu organisieren, daß sich ein Meinungsbildungsprozeß mit gleichen Zugangschancen entwickelt. Die Hoffnungen derer, die wie Habermas damals beim linken Sozialdemokraten Wolfgang Abendroth Modelle radikaler Veränderung auf der Grundlage des Verfassungsversprechens „Sozialstaat“ diskutierten, dachten vor allem an die interne demokratische Öffentlichkeit der Gewerkschaften. War die öffentliche Meinung schon vermarktet und vermachtet, also Teil der Ökonomie oder des Staatsapparats geworden, so müßten wir uns eben durch diese unumkehrbaren Vermittlungsprozesse durchquälen. An eine neue Unmittelbarkeit mochte 1962 niemand glauben.
Rebellion für freie Aussprache von „Fuck“
Zwei Jahre später rebellierten die StudentInnen von Berkeley im Free Speech Movement mit an erster Stelle für die Freiheit, das verbotene Wort „Fuck“ auf dem Campus furchtlos auszusprechen. Die Studentenbewegungen und die an sie anknüpfenden Ökologiebewegungen haben bis heute Leben in die erstarrt geglaubte Demokratie gebracht. Das Gewusel der „alternativen Öffentlichkeit“ (Karl-Heinz Stamm), von den Teach-Ins über die Szenekneipen und die freien Radios bis hin zur taz erinnert vielfach an die klassischen sozialen Formen der bürgerlichen Öffentlichkeit vor ein paar hundert Jahren. Das alles wirkte von außen auf die Großorganisationen; aus deren grauem Innenleben kam wenig, es sei denn als Echo.
Heute begrüßt Habermas ausdrücklich die Frauenbewegung und die Alternativen als Öffentlichkeit schaffende Kräfte. Aber die frühere Hoffnung, aus den Großorganisationen möge neues Leben schlagen, war immerhin noch mit der Strategie verbunden, die dort entstehende Öffentlichkeit könnte Veränderungen des ökonomischen und politischen Systems einklagen — und zwar solche, die aufs Ganze gehen. Erfährt heute die Öffentlichkeit eine neue Blüte, so ist laut Habermas die Chance für eine demokratische oder „zivile“ Gesellschaft von anderer Art: Sie besteht in der Erhaltung der „Lebenswelt“ gegenüber den „kolonialistischen Übergriffen“ des „Systems“.
Das Reich der Unmittelbarkeit, der „herrschaftsfreien Kommunikation“, wie Habermas früher hauptsächlich mit Blick auf die Wissenschaft formulierte, ermöglicht ein gewisses Maß an Demokratie durch seine Existenz im Widerspruch zu den auf leistungsgerechtes Funktionieren geschneiderten Apparaten — aber den Streit mit diesen Apparaten nimmt es nicht mehr auf.
Habermas hat in diesen knapp dreißig Jahren die Wendung von der Praxisphilosophie zur Kommunikationstheorie als Verankerung seiner Gesellschaftskritik vollzogen. War die Annahme damals, durch demokratischen Diskurs komme die „gute“ Gesellschaft zustande, so heute in pragmatischer Selbstbeschneidung: demokratischer Diskurs sei kein Mittel, sondern Zweck. Glanz und Elend dessen, was geschieht, wenn öffentlich argumentiert wird (und wer die taz liest oder in ihr schreibt, sollte das höllisch ernstnehmen, nach wie vor ist sie das herausragende Exempel in der deutschen Medienwelt), standen kaum je so grell beleuchtet nebeneinander wie in diesem Habermas-Text.
Dabei unterbietet er allemal die hergebrachten Einwände der Adorno'schen Kulturkritik: Die Lebenswelt sei so durchsetzt von der Warendynamik des „Systems“ wie dieses selbst. Wie in allen Schriften zum kommunikativen Handeln befaßt er sich nicht einmal ausdrücklich damit, weshalb der wunderhübsche Satzfehlerstreich, Seite 45, Freud sei Dank, ihm das kommunikative Handeln unversehens zum Handel werden läßt.
Habermas steht gleichsam mit dem Rücken zur Medientheorie der Frankfurter Schule; Öffentlichkeit ist für ihn ein Prozeß kommunizierender Menschen, und die fetischartige Verfestigung der als Waren gehandelten Kommunikationsprodukte — die eigentlich Kunstwerke sein sollten, nicht Münzen — spielen bei ihm keineswegs die zentrale Rolle wie in der These von der „Kulturindustrie“. In Michael Kauschs Buch über die Medientheorie der kritischen Theorie (Frankfurt, Fischer) wird Habermas kaum erwähnt.
Die Habermasschen Perspektiven beruhigen weniger denn je
Habermas fragt primär nach der Bedeutung von Öffentlichkeit für Demokratie. Sein neues Vorwort schrieb er unter dem Eindruck der Bürokratendämmerung des „realen Sozialismus“, und die Abkehr von revolutionären, auf Veränderung des Ganzen gerichteten Theorien hat sich dadurch verstärkt. Lesen wir es aber nach dem Schock des Golfkriegs, in dem das „System“ kaum geschwächt von Legitimationsproblemen nicht nur Übergriffe auf die Lebenswelt, sondern hunderttausendfach deren Vernichtung zu exekutieren imstande war, so beruhigen die Habermasschen Perspektiven weniger denn je. Kann sich die kommunikative Macht neben der des Systems nur behaupten, indem sie zur Hilflosigkeit verdammt bleibt, stellen sich dann nicht die Fragen nach Veränderung des Ganzen neu? Wobei sicherlich die alten Antworten als falsch erwiesen sind, vor allem die Vorstellung von einer Öffentlichkeit, die direkt der Politik zu Diensten sein sollte.
Was würde Thomas Schmid also heute von Habermas erfahren? Daß diskursive Auseinandersetzung doch eine Chance hat — nämlich als Selbstzweck. Reicht das?
Zur Abwehr vielleicht. Denn diese „kommunikative Macht“, die die administrative „belagert“ und beeinflußt, ohne sie erobern zu können, verhindert immerhin neue romantisierende, gar präfaschistische Mythenbildung um das „System“. Hier nimmt Habermas die Demokratieforschung des Instituts für Sozialforschung auf, getragen von Rödel/ Frankenberg/Dubiel, die auf der Suche nach Veränderungen demokratischer Kultur vor allem durch die Grünen sind. Zur grandiosen „Nation“ etwa wird das System nicht verklärt — das hat sich gerade nach der deutsch-deutschen Vereinigung bestätigt. Daß aber diskursive Öffentlichkeit nicht nur wiederbelebt wird, sondern zur „Zivil“gesellschaft führt, die die Macht des Systems abschafft, das blieb Wunschtraum.
Martina Burandt, Simone Heimannsberg und Richard Herding (ID Bremen)
Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit — Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 24,00 DM.
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