: Rechte überfielen Tschernobyl-Kinder
■ Die Kripo wollte zunächst nicht richtig hinschauen/ Staatsanwalt und Landrat über Polizei empört
Dresden (taz) — Zehn angetrunkene Jugendliche, vornweg der örtliche „Republikaner“-Chef Rene Druschke, überfielen am Himmelfahrtstag die Ferienunterkunft von 40 Kindern aus Tschernobyl. Die Kinder waren von einer Familieninitiative zu mehrwöchigen Ferien nach Zittau eingeladen worden und hatten eben ihren Abschied gefeiert, als sie von draußen lautes Gebrüll „Ausländer raus“ und „Sieg Heil“ hörten. Vor dem Haus ging ein Transparent in Flammen auf. Zu dieser Zeit, gegen 22.30 Uhr, waren die deutschen Betreuer bereits nach Hause gegangen. Die sowjetischen Betreuer brachten die Kinder in Sicherheit, und ein befreundeter Stadtrat aus Ulm, der dieses Heim besucht hatte, stellte sich dem Pulk entgegen. Offensichtlich verwirrt blieben die meisten Randalierer stehen, bis drei von ihnen das Gebäude mit Steinen und brennenden Fackeln stürmten. Die Neonazis zerschlugen Fensterscheiben und verletzten dabei einen der sowjetischen Betreuer am Kopf. Erst nach Hilferufen aus dem Heim konnten Soldaten der nahegelegenen Bundeswehrkaserne und Leute aus der Nachbarschaft zu den Kindern und Betreuern eilen. Nach einer halben Stunde traf die Polizei ein. Doch die sah keinen Grund, die Jung-Nazis festzunehmen, weil angeblich wieder Ruhe war und die Betreuer keine Anzeige erstattet hätten. Auch auf die Aussagen von Zeugen verzichteten die Ordnungshüter.
Drei Tage später erfuhr der Staatsanwalt von dem Vorfall aus der Zeitung. Seit Dienstag laufen die Ermittlungen gegen acht Rechtsextremisten wegen Landfriedensbruchs, vorsätzlicher Körperverletzung und Volksverhetzung. Von einem Haftbefehl jedoch will der Vize des Leitenden Staatsanwaltes für Extremismusbekämpfung, Jürgen Schär, noch absehen. Die Voraussetzungen seien derzeit nicht gegeben. Erwiesen sei, daß die Gruppe eigentlich das nur fünf Minuten entfernt liegende Asylantenwohnheim stürmen wollte. Die Kinder aus Tschernobyl fielen den Schlägern auf dem Wege ein. In der Kneipe hatten sie sich vorgenommen, „Ausländer aufzumischen“. Einige der von der Kripo so großzügig behandelten Rechtsextremisten randalierten schon am nächsten Tag wieder vor einem Ausländerwohnheim, warfen Steine und demolierten ein Auto.
Inzwischen hat Staatsanwalt Schär das Verhalten der Polizei kritisiert. Die Kripo habe den Vorfall weder sachgemäß noch unverzüglich behandelt. Landrat Eggert warf der Kriminalpolizei totales Versagen vor. Ein Vertreter der „Republikaner“-Ortsgruppe nahm reumütig an einer Gesprächsrunde zwischen Stadtverwaltung, Landratsamt, Ausländerbeirat, Kirche und Staatsanwalt teil. Dort wurde ein Sicherheitskonzept für die in Zittau lebenden AusländerInnen besprochen. Detlev Krell
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