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INTERVIEW»Wo Haftplätze sind, wird auch eingesperrt«

■ Bernd Sprenger, Sprecher des Kriminalpolitischen Forums, zur möglichen Reaktivierung der Ostberliner Knäste

taz: Die Kriminalität in Berlin steigt. Vor allem Jugendliche werden immer gewalttätiger. Könnten mehr Knäste mehr Sicherheit schaffen?

Bernd Sprenger: Es ist ein Trugschluß zu glauben, daß mehr Gefängnisse mehr Sicherheit auf den Straßen schaffen. Der Hintergrund für die zunehmende Gewalt ist die neue Situation Berlins, die gekennzeichnet ist durch soziale Spannungen, zum Beispiel Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit.

Die Justizsenatorin geht davon aus, daß mehr Menschen inhaftiert werden, wenn die Justiz wieder funktionsfähig ist.

Das ist genau der falsche Ansatz. Das Strafrecht hat vielerlei Möglichkeiten, auf Kriminalität zu reagieren. Es ist möglich, sehr viel stärker im präventiven Bereich zu arbeiten. Ein Ansatz, der auch von der Justizverwaltung verfolgt wird, ist Konfliktregulierung durch Täter-Opfer-Ausgleichsprojekte. So etwas könnte auch im Jugendbereich verstärkt werden. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von ambulanten Maßnahmen, wie etwa gerichtliche Weisungen, bei freien Trägern zu arbeiten. Das ist sicher eine bessere Alternative, als die Jugendlichen gleich einzusperren. Das Problem ist nur, daß diese Projekte personell und finanziell eingeschränkt oder sogar gestrichen werden.

Ist es denkbar, daß mehr Leute eingeknastet werden, wenn es mehr Gefängnisse gibt?

Das ist eine alte Faustregel: Wo Haftplätze da sind, wird auch eingesperrt. Dabei gibt es in Berlin eigentlich gute Ansätze. Der rot-grüne Senat hat 1989 als Schwerpunkt seiner Justizpolitik mit dem Ausbau des offenen Vollzugs begonnen. Dies hat der schwarz-rote Senat nicht zurückgenommen, sondern in seiner Koalitionsvereinbarung bestätigt.

Was steckt dahinter, wenn die Knäste in Ostberlin wieder eröffnet werden sollen?

Ich habe den Verdacht, daß die begonnene Justizreform mit der Eröffnung von Vollzugsanstalten in Ost-Berlin gestoppt werden soll. Die Belegung der alten Haftanstalten in Ost-Berlin verbietet sich aus vielerlei Gründen für den offenen Vollzug. Fast alle sind geschlossene Anstalten, die nicht umgewidmet werden können. Um Plätze für den offenen Vollzug für Gesamt-Berlin zu finden, müßte sich die Justizverwaltung nach kleinen Einrichtungen umsehen.

Die Berichterstattung der Medien suggeriert, daß die Kriminalität in den neuen fünf Bundesländern immens hoch ist. Dieser Eindruck wird durch eine Statistik des gemeinsamen Kriminalamts (GLKA) relaviert, die besagt, daß die Kriminalität in den neuen fünf Bundesländern nur ein Viertel dessen erreicht hat, was als durchschnittlicher Weststandard gilt.

Die Statistik ist möglicherweise zutreffend. Das Gerede von der gestiegenen Kriminalität wird zumeist jedoch genutzt, um mehr Stellen für die Polizei und den Strafvollzug zu bekommen.

Wie müßte die Kriminalpolitik aussehen?

Für einen kleinen Teil von Gewalttätern wird es keine andere Möglichkeit geben, als sie einzusperren. 1989 hat sich die Justizverwaltung mit Experten in Organisationskonferenzen zusammengesetzt, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie die Reformen realisiert werden können. Dasselbe müßte jetzt auch in bezug auf die Ostberliner Gefängnisse gemacht werden. Unser Ziel als Kriminalpolitisches Forum ist es, die Justizverwaltung und die Parteien so bald wie möglich zu einem Fachgespräch am Runden Tisch einzuladen, um über eine sinnvolle Kriminalpolitik nachzudenken. An erster Stelle müssen ambulante Maßnahmen stehen, der Strafvollzug muß ultima ratio sein. Wir haben den Eindruck, daß jetzt alles ohne Konzepte und Planung schnell übers Knie gebrochen werden soll. Interview: Plutonia Plarre

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