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Neue Chefin mit altem Kabinett

■ Schlüsselressorts in Frankreich in denselben Händen/ Selbst der wegen Spendenaffäre umstrittene Justizminister Nallet bleibt/ Mehr Frauen als früher/ Kommunisten und Arbeitgeber zufrieden

Paris (afp/dpa/taz) — „Es gibt keinen Regierungswechsel in Frankreich, sondern nur eine neue Premierministerin“, sagte der ehemalige Staatspräsident, der Liberale Valery Giscard d'Estaing, gestern. Er sprach damit denjenigen Beobachtern aus der Seele, die ein Kabinett mit vielen neuen Ministern — und vor allem Ministerinnen — erwartet hatten. Doch die Überraschungen hielten sich in Grenzen: Am Donnerstag abend stellte Cresson eine weitgehend bekannte MinisterInnenriege für die kommenden zwei Jahre vor.

Die Schlüsselministerien bleiben in vertrauten Händen. Außenminister Roland Dumas, Verteidigungsminister Pierre Joxe und Innenminister Philippe Marchand bleiben, was sie schon unter Rocard waren. Neu ist vor allem die Schaffung eines Superwirtschaftsministeriums unter dem bisherigen Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Beregovoy. Ähnlich wie es auch der „Gegner Japan“ macht, soll dieses wichtigste Amt im Kabinett die Ressorts für Industrie und Außenhandel, Handel und Handwerk, Haushalt und Post koordinieren.

Mit mehr Sozialisten und mehr Frauen als zuvor, dem Ausscheiden sämtlicher nichtpolitischer Persönlichkeiten sowie drei von sechs Zentrumspolitikern ist das Kabinett Cresson „linker“ als das ihres Vorgängers Rocard. Und es wurden mehrere Gefolgsleute und Vertraute des Präsidenten aufgenommen, darunter der bisherige Elysée-Generalsekretär Jean-Louis Bianco als Sozialminister und Martine Aubry, die Tochter von EG-Kommissar Jacques Delors, als Arbeitsministerin. Kulturminister Jack Lang bekam zusätzlich das Amt des Regierungssprechers.

Selbst der im Zusammenhang mit dem jüngsten Parteispendenskandal ins Zwielicht geratene Justizminister Henri Nallet bleibt im Amt.

Erst wenn kein Mann sich an eine heikle Aufgabe mehr heranwage, vertraue man sie einer Frau an, hatte Edith Cresson früher einmal erklärt. Jetzt hat sie selbst beachtliche Aufgaben vor sich: Der Staatshaushalt, die Renten und die Sozialfürsorge müssen finanziert werden, die Arbeitslosigkeit soll nicht weiter steigen, und die brenzligen Fragen der Immigrantenpolitik und der Unruhen in den Vorstadtghettos harren auf eine Antwort.

In Paris sind die Meinungen über Cressons Kompetenz, diese Aufgaben zu bewältigen, gespalten. Heftige Abwehrreaktionen hat ihre Ernennung beim christliberalen Zentrum ausgelöst, das der Sozialistin „Sektierertum“ und „mangelnde geistige Schärfe“ vorwarf. Gefallen an Cresson finden Kommunisten und Unternehmerverband CNPF. Sie schätzen gleichermaßen ihr Engagement für lenkende Industriepolitik in Krisenbereichen und den Schutz zentraler Sektoren vor ausländischer „Bedrohung“. Was ersteren als „links“ gilt, ist letzterem dabei die Sicherung der Wirtschaftsinteressen vor Konkurrenz, vor allem japanischer. Aus Bonn telegraphierte Kohl der neuen Kollegin in Paris, daß er sich auf den Gipfel Ende des Monats freut.

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