„Menschenrechte der Politik untergeordnet“

Zum 30. Jahrestag ihrer Gründung kritisiert amnesty international „zynisches“ Verhältnis der Bonner Politiker  ■ Aus Bonn Andreas Zumach

Das Massaker auf dem Pekinger Platz des „Himmlischen Friedens“ vor zwei Jahren und die nachfolgende Unterdrückung von Oppositionellen sei eine „gesellschaftliche Delle“ gewesen. Jetzt gelte es, das Augenmerk auf den „sehr großen Markt“ China zu richten.

So die VertreterInnen der FDP- Fraktion im Haushaltsausschuß des Bundestages am 24. April 1991. „Zynischer kann man die Vorgänge kaum kommentieren“, erklärte der Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international (ai), Volkmar Deile, gestern in Bonn aus Anlaß des 30. Jahrestages der Gründung von amnesty am 28. Mai 1961 in London. „Hier verschwindet der getretene Mensch hinter realpolitischen Interessen“. Mit „Windgeschwindigkeit“ habe sich „die Verdrängung des Massakers in Peking durchgesetzt“. Ein hochaktuelles Beispiel dafür, wie der Schutz der Menschenrechte „in vielen Fällen immer noch politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen untergeordnet“ werde, sei auch die Golfregion. Die von ai seit zehn Jahren beharrlich angeprangerten schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak hätten die meisten Regierungen mit „verhängnisvollem Schweigen übergangen“ — inklusive der Giftgasoffensive der Armee Saddam Husseins gegen die Kurden im März 1988. Nach dem Einmarsch in Kuwait wurde „plötzlich jedoch der ai-Bericht über den Irak zum Rechtfertigungsgrund für den Golfkrieg genommen“ (Deile). Niemand in der anti-irakischen Allianz habe sich „ernsthaft für die nicht minder schweren Menschenrechtsverletzungen in verbündeten Staaten interessiert“. Nach Ende des Golfkrieges werde nun die grausame Verfolgung von vermeintlichen Sympathisanten Saddam Husseins in Kuwait mit dem Mantel des Schweigens umgeben. Auch das Bonner Außenministerium beschränkt sich im Fall Kuwait auf „stille Diplomatie“. Deile und Vorstandssprecherin Ursula Koerner verwahrten sich gegen “Lobreden und schulterklopfendes Wohlwollen“ der Regierenden für die ai-Arbeit und warnten davor, die Organisation „zum Dienstleistungsunternehmen machen zu wollen, das durch seine Arbeit für die Menschenrechte das Gewissen der Öffentlichkeit beruhigt“. Stattdessen brauche ai „Engagement und Unterstützung“, damit die „Verwirklichung menschenrechtlicher Prinzipien in der Außen- wie in der Innenpolitik stärkeren Vorrang erhalten“. Noch zu häufig werde die Behauptung von Regierungen, ausländische Kritik an Menschenrechtsverletzungen stelle eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“ dar, als legitim akzeptiert. Konkret fordert ai eine Menschenrechtsklausel gegen Rüstungsexporte sowie den „uneingeschränkten Erhalt“ des Grundrechts auf Asyl in der Bundesrepublik. Die wenige Monate nach Inkrafttreten des neuen Ausländerrechtes drohenden „Massenabschiebungen“ von Menschen, die wegen politischer Verfolgung Asly suchten, zeigten, wie ernst Staat und Gesellschaft es mit dem Menschrenrechtsschutz sei. Flüchtlinge aus Iran, Irak, Sri Lanka, Libanon, Afghanistan, Äthopien und Somalia, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die wegen der ihnen in den Herkunftsländern drohenden Menschenrechtsverletzungen bislang jedoch nicht abgeschoben werden durften, verlieren diesen Duldungsschutz zum 1. Juli dieses Jahres. ai befürchtet „Zwangsrückführungen“ dieser Flüchtlinge in Länder, in denen sie „Folter, Haft und staatliche Gewalt erwarten“. Wie schnell Menschenrechtsfragen zweitrangig werden können, erlebte ai gestern in Bonn. Die Bundespressekonferenz, zu der die Menschenrechtsorganisation anläßlich des 30. Jahrestages ihrer Gründung schon vor Wochen eingeladen hatte, quartierte sie wegen einer Pressekonferenz aus Anlaß von Bundeskanzler Kohls bevorstehender USA-Reise kurzfristig wieder aus.