Eine Holocaust-Gedenkstätte auf dem Papier

■ Nach wie vor herrscht in Wuppertal Unklarheit über den seit drei Jahren beschlossenen Bau einer Synagogen-Gedenkstätte/ Etat-Diskussion in den Mühlen der Bürokratie/ Grundsteinlegung ungewiß

Der Hochschullehrer und Stadtratsabgeordnete der Grünen, Professor Ferdinand Meinzen, fing sich eine offizielle und hochnotpeinliche Rüge der Wuppertaler Oberbürgermeisterin ein. „Die Wuppertaler Stadtverwaltung“, hatte der damals noch in Amt und Würden befindliche Stadtverordnete in einer Parlamentssitzung vor fünf Jahren pointiert festgestellt, „macht sich zum Testamentsvollstrecker von Josef Goebbels.“ Das nun wollte die Oberbürgermeisterin nicht auf dem von ihr präsidierten Stadtrat und der Verwaltung der bergischen Metropole sitzenlassen — zu Unrecht, denn Meinzens Äußerung läßt sich dokumentarisch belegen. Der Wuppertaler Journalist und Publizist Kurt Schnöring hatte in einem seiner Bücher aus einem authentischen NS-Protokoll zitiert: Der Konferenzmitschrift aus den ausgehenden dreißiger Jahren zufolge hatten sich unmittelbar nach der Pogromnacht Reichsmarschall Hermann Göring und Propagandaminister Josef Goebbels in Berlin Gedanken über die zukünftige Nutzung all jener Grundstücke gemacht, auf denen zuvor die abgebrannten jüdischen Synagogen gestanden hatten. Überlegt wurde, aus den nun leeren Flächen Parkplätze zu machen. In Wuppertal sind diese Überlegungen bis heute Realität. Wo an der Genügsamkeitsstraße im Stadtteil Elberfeld bis zum November 1938 die jüdische Synagoge stand, befand sich noch bis vor kurzem ein teilweise städtisch genutzter Parkplatz — ist bis heute noch öde, asphaltierte Fläche. Einzig eine Gedenktafel an einem Mauerfragment weist auf die zerstörte Synagoge hin.

Nach monate- und jahrelangem Hin und Her zwischen Ratsgremien und Parteien, Interessensverbänden und der Wuppertaler Stadtverwaltung zeichnet sich jetzt endlich der Bau einer Gedenkstätte auf dem historischen Gelände ab. Symbolisch und publikumswirksam pflanzte Wuppertals Oberbürgermeisterin Kraus ein Apfelbäumchen. Unbekannte rissen die Pflanze unmittelbar darauf wieder aus der Erde.

Schon im September 1987 hatte der Rat der Stadt den Bau einer Synagogen-Gedenkstätte beschlossen, im Mai 1988 wurde ein beschränkter Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den das Kölner Büro Busmann und Haberer mit einem überzeugenden Entwurf gewann. Gemeinsam mit dem Künstler Zbysek Oksiuta und dem Landschaftsarchitekten Volker Püschel planen die beiden Architekten ein „Lehrhaus“ in Gestalt eines massiven schwarzen Würfels mit Versammlungs- und Seminarraum und einem Verwaltungstrakt. Auf Anregung der begleitenden jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal entsteht daneben ein Obstgarten als „nicht betretbarer Bezirk“, in dem auch ein kleines Rinnsal entspringt. Die Fundamente der Synagoge bleiben erhalten — außerhalb des neuen Gebäudes als Mauerfragmente, innerhalb als gelbe Bodensteine. Nach ersten Gesprächen zwischen der Wuppertaler Stadtverwaltung, den Architekten und den späteren Nutzern der Gedenkstätte, unter ihnen die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die christlichen Kirchen, herrschte über das behutsam-eindringliche Planungs- und Baukonzept Begeisterung. Das hochgegriffene Wort vom „kleinen deutschen Yad Vashem“ machte die Runde.

Tatsächlich gesichert allerdings sind Bau und Unterhaltung der Wuppertaler Synagogen-Gedenkstätte noch keinesfalls. Zwar hat der dafür zuständige Regierungspräsident in Düsseldorf mit Bescheid vom 20. Oktober 1990 eine Zuwendung in Höhe von 3.312.000 DM gewährt und darüber hinaus auf Intervention der Stadt nachträglich angekündigt, daß weitere 537.000 DM im Rahmen der Städtebauförderungsmittel für 1992 eingeplant seien; die veranschlagten Gesamtkosten in Höhe von 4,87 Millionen DM aber sind damit ebensowenig gedeckt wie die jährlichen Folgekosten in Höhe von rund 200.000 DM. Allein die Sicherungskosten gegen die in Wuppertal äußerst aktiven Rechtsradikalen werden hohe Summen verschlingen.

Aus den Ratsfraktionen und Parteibüros wurde deshalb in den vergangenen Wochen immer wieder inoffiziell die Frage laut, ob man das gesamte Projekt nicht habe kleiner, also billiger dimensionieren können. Öffentlich freilich traut sich niemand, diese Bedenken auszusprechen, zumal beim letzten Besuch einer Delegation in der israelischen Partnerstadt Baer Sheva nach dem Grund für die lange Verzögerung des Baubeginns gefragt wurde. Welche Funktion der Gedenkbau nach seiner Fertigstellung haben soll, welche Veranstaltungen in ihm stattfinden werden, ist ebenfalls noch unklar. Erst nach der parlamentarischen Sommerpause will der Kreis der potentiellen Nutzerverbände ein Nutzungskonzept vorlegen. Zu diesem Zeitpunkt soll dann ebenfalls geklärt werden, ob ein Trägerverein zur Deckung der laufenden Kosten gegründet wird.

In einer Sitzung der Bezirksvertretung Wuppertal-Elberfeld hat unterdessen der CDU-Vertreter Michael Müller seine Position bereits klargemacht. „Muß so etwas tatsächlich fünf Millionen kosten?“ fragte der Christdemokrat und verweigerte dem Durchführungsbeschluß seine Stimme. Ähnlich motiviert verlief die Beratung im städtischen Bauausschuß: Während der Leiter des Hochbauamtes einen wahrscheinlichen Baubeginn für diesen Oktober ankündigte, gestand sein Dezernent Reinhard Stern ein: „Wir sind mittlerweile einigermaßen ratlos, was wir wann machen müssen, wenn wir 1993 fertig werden sollen.“ Und der Ausschußvorsitzende Manfred Decker, wie Stern CDU-Mitglied, bemerkte zu der von der SPD für Juni angeregten Grundsteinlegung, es sei wenig sinnvoll, „irgendein Brimborium aufzuführen und irgendwo einige Steine übereinanderzustapeln“, wenn es dann doch zu keinem Baubeginn käme. Der Kulturausschuß des Stadtrates schließlich diskutierte kurzerhand gar nicht die Vorlage und überwies sie bloß zustimmend zur weiteren Beratung an die nachfolgenden Gremien — mit den Stimmen auch der CDU.

Im städtischen Nachtragshaushaltsplan sind bislang für die Zeit ab 1992 keine Finanzmittel für die Gedenkstätte mehr im Rahmen von Verpflichtungsermächtigungen ausgewiesen. Auf eine Nachfrage bei den zuständigen Stellen erfuhr der Grünen-Stadtverordnete Reinhard Kaiser aber, daß die Gedenkstättenkosten im Rahmen eines im Haushalt verankerten Stadterneuerungsprogramms für diesen Bereich aufgefangen wären. Eine eigene Haushaltsstelle sei nicht sinnvoll. Von der einstigen Einmütigkeit beim Grundsatzbeschluß vor dreieinhalb Jahren ist jetzt, da es an die konkrete Umsetzung und Finanzierung des bundesweit wohl einmaligen Gebäudes zum Gedenken an die Opfer des Holocausts geht, nicht mehr viel zu spüren. Architekt Peter Busmann hat sich unterdessen schon Gedanken über eine mögliche Innenausgestaltung des schwarzen, würfelförmigen Lehrhaus-Baus gemacht. Als Wandinschrift für den geplanten großen Versammlungsraum fiel ihm ein Zitat von Martin Buber aus dem Jahr 1958 ein: „Man muß lebendig werden lassen, was man vertreten will. Sonst schaut nichts heraus. Wer kämpft, wer gestaltet, schöpft aus dem Lebendigen, und wo das Leben wächst, verringert sich das Tote.“ Stefan Koldehoff