: Das Rechnen mit Panzern ist mega-out
■ Neue Schulbücher für Sachsen-Anhalt/ „Margot-Honecker-Pädagogik“ ist passé/ Ausleihe gratis
Magdeburg. Sachsen-Anhalts Lehrer haben die Qual der Wahl: In den nächsten Tagen landet auf ihren Schreibtischen ein 300 Seiten starker Wälzer, das Lehrbuchverzeichnis für das nächste Schuljahr. 3.000 Titel sind in dem Paperback-Band verzeichnet, umweltfreundlich gedruckt auf Altpapier.
Bis zum 15.Juni soll von den Schulkonferenzen die Entscheidung darüber getroffen werden, mit welchen Lehrbüchern die Mädchen und Jungen künftig Deutsch, Mathematik, Physik oder Chemie lernen müssen.
Bücher von etwa 100 Verlagen wurden dazu vom Kultusministerium für grundsätzlich gut genug befunden. Die Angebote aus den neuen Ländern werden dabei von westlicher Übermacht schier erdrückt. Nur ungefähr 100 Titel vom Verlag Volk und Wissen Berlin und „Exoten“ wie Militzke und Thomas aus Leipzig passierten die gestrengen Augen sachsen-anhaltinischer Schulbuch-Inspektoren. Nach ihrer Auffassung dürfen die Steppkes der unteren Klassen durchaus in der „Bücherkiste“ von Volk und Welt kramen oder nach ostdeutschen Vorgaben das kleine Einmaleins lernen. Auch Englisch, Russisch, Französisch oder Spanisch können auf dieser Grundlage gebimst werden. Danach hört es dann schon schnell auf, was gewiß auch auf einen Rückgang im Angebot aus den neuen Ländern zurückzuführen ist.
Die Bücher der „Margot-Honecker-Pädagogik“, genannt nach der ehemaligen Staatschef-Gattin und DDR-Bildungsministerin, haben im nächsten Schuljahr keinen Platz mehr in sachsen-anhaltinischen Klassenzimmern, heißt es in einer Mitteilung des Kultusministeriums. „Das Rechnen mit Panzern und Pionierabzeichen, die Verherrlichung der Thälmannpioniere, statistische Fälschungen über die Lebenskraft des RGW oder Indoktrinationen der jungen Menschen durch Sturmwindlieder der Revolution“ müßten der Vergangenheit angehören. Sachsen- Anhalt dokumentiere jetzt mit den neuen Büchern „demokratische Offenheit einer pluralistisch verfaßten Gesellschaft“.
In Fächern wie Geschichte und Gesellschaftskunde finden Bücher aus Ostverlagen beim Kultusministerium keine Berücksichtigung. Aber auch in Musik, Arbeitswelt, Technik, Handwerk und naturwissenschaftlichen Disziplinen der oberen Klassen sind sie so gut wie nicht vertreten.
Über eine Meldung aus dem Kultusministerium herrscht ungeteilte Freude: Schulbücher können kostenlos ausgeliehen werden. 83 Millionen Mark hat die Landesregierung dafür in diesem Jahr im Nachtragshaushalt eingeplant. Minister Werner Sobetzko (CDU) sprach dabei von einem „finanziellen Kraftakt“, der auch bundesweit Beachtung gefunden habe. Die Familienbudgets werden auf diese Weise um einhundert bis vierhundert Mark pro Kind entlastet. Wolfgang Schmidt (dpa)
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