: Offener Brief an Gerd Billen, Spitzenkandidat der NRW-Grünen zur Bundestagswahl 1990 (betr.: "Ich habe die Hoffnung aufgegeben"), taz vom 4.5.91
an Gerd Billen, Spitzenkandidat der NRW-Grünen zur Bundestagswahl 1990 (betr.: „Ich habe die Hoffnung aufgegeben“,
taz vom 4.5.91)
Deinen Austritt aus den Grünen müssen wir akzeptieren, wir finden ihn aber falsch, insbesondere auch die von Dir angeführten Gründe. Vielmehr finden wir Deinen Schritt unbedacht und politisch kurzsichtig.
Den Bonner Kreisverband hältst Du für „konservativ links“. Warum kehrst Du uns dann gerade jetzt den Rücken, wo der Kreisverband mit breiter Mehrheit Strukturverbesserungen beschlossen hat und sich verstärkt um eine Öffnung in alle gesellschaftlichen Bereiche bemüht?
Den Bundesgrünen wirfst Du traditionssozialistische Positionen vor. Klar, die Grünen sind eine linke Partei, aber sie sind nicht nur eine Partei für Linke. Und schon gar nicht für traditionelle Sozialismusvorstellungen zu haben.
Hast Du nicht die Erklärung von Neumünster gelesen, in der 90 Prozent der Delegierten grüne Essentials festgestellt haben? Die Grünen definieren sich dort eindeutig als ökologische Reformpartei und Partei des ökologischen Humanismus.
Meinst Du eigentlich, Du bist letztes Jahr aus Versehen auf Platz zwei der grünen NRW-Liste zur Bundestagswahl gewählt worden? Nein, das war ein bewußtes Votum für die von Dir vertretene Politik, ökologische Reformen durch Druck (VerbraucherInnenverhalten) von unten zu erreichen.
Du schreibst, die Bundesdelegiertenkonferenz hätte den nötigen Neuanfang verpaßt. Leider warst Du nicht in Neumünster, sondern bist offensichtlich der Einschätzung enttäuschter StrömungsprotagonistInnen und dem schlechten Bild in der Presse gefolgt. Jenseits des zum Teil nervenaufreibenden Ablaufs hat Neumünster aber positive Weichen für eine grüne Zukunft gestellt, die die drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Industriegesellschaft offensiv und effektiv angeht.
Solltest Du wirklich zur SPD gehen, macht das den Eindruck, daß Du zu den Grünen ein instrumentelles Verhältnis gehabt hast und nun aus machtpolitischen Erwägungen das politische Hemd wechselst. Wir können das aus der langjährigen Zusammenarbeit mit Dir nicht glauben. Warum gibt es die Grünen überhaupt? Weil gerade die SPD ein völlig falsches Verständnis von Ökologie hat, das sich bis heute nur als Umweltreparaturpolitik präsentiert. Wenn Du in ein paar Monaten enttäuscht zurückkommst: Wir sind für eine Zusammenarbeit mit Dir immer offen.
Noch besser wäre es allerdings, wenn Du Dir Deinen Schritt noch mal überlegst, nachdem Du Dich gründlich darüber informiert hast, was bei den Grünen zur Zeit an Neubeginn auf allen Ebenen läuft. Dietmar Strehl,
Die Grünen Bonn, Kreisverband
und Ratsfraktion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen