piwik no script img

Oskar wird zum Hiob

■ Borussia Neunkirchen und 1860 München trennen sich 1:1 in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga Süd

Neunkirchen (taz) — Wolfgang Gayer ist ein weitgereister Mann. Austria Wien, Borussia Neunkirchen, Hertha BSC Berlin und 1860 München waren seine Stationen als Fußballprofi. Heute mit 48 Jahren ist er Spielertrainer beim Mannheimer Bezirksligisten SC Adria, wo er sich auch selbst einwechselt und immer noch für ein Tor gut ist.

Seine beste Zeit erlebte er in der damaligen Hüttenstadt Neunkirchen, wo die traditonsreiche Borussia, am Tag der Arbeit 1905 gegründet, 1964 zum ersten Mal in die Bundesliga aufstieg, sich zwei Jahre hielt und nach dem Abstieg gleich wieder nach oben kam. Und so avancierte Wolfgang Gayer in der dritten und letzten Spielzeit 1967/68 zum Liebling der fußballbesessenen Underdogs aus den Bergwerken und Stahlschmelzen in und um die graue Kreisstadt, deren Fassaden es seiner Zeit mit dem Umfeld der Liverpooler Anfield Road hätten aufnehmen können.

Das Schicksal der Neunkircher Borussia ist eng verknüpft mit Hochkonjunktur und Niedergang der Saarländer Stahlindustrie. Nach dem Krieg, als die Alliierten das Land Preußen liquidiert hatten, verlor die Borussia sogar ihren Namen. Erst 1951/52 erlaubten die französischen Besatzer den Spielbetrieb mit dem deutschen Südwesten. Das Eisenwerk expandierte und entwickelte sich ab 1959 zum zweitgrößten Stahlproduzenten im Saarland, just in dem Jahr, als die Borussia das deutsche Pokalfinale gegen Schwarz-Weiß Essen erreichte und 2:5 unterlag.

Es folgten einige Teilnahmen an den Endrunden um die deutsche Meisterschaft, aber auch die Nichtberücksichtigung bei der Einführung der Bundesliga. Doch Borussia nahm schon ein Jahr später den Platz des abgestiegenen 1.FC Saarbrücken ein. Als die Bundesligajahre vorüber waren, begann das Eisenwerk zu wanken. 1974 brach der Stahlpreis weltweit ein, am Ende stand für Neunkirchen ein radikaler Kapazitätsabbau und Massenentlassungen in den Hütten. Als die Hütte starb, folgte der Niedergang der Borussia. Sie stieg 1981 in die Drittklassigkeit ab, und 1988 drohte gar der Sturz in die Verbandsliga, den junge Vorständler gerade noch verhindern konnten. Sie waren auch die Wegbereiter in der Meisterschaft der Oberliga Südwest 1990/91.

Nun wären aber die Neunkircher keine guten Saarländer, würden sie nicht permanent vom Pech verfolgt, gibt es doch dieses Mal aus der Gruppe Süd nur einen Aufsteiger in die neue zweigeteilte Zweite Liga. So geriet schon das Auftaktspiel gegen 1860 München zum Schlüsselspiel.

Wie verbissen es auf dem Ellenfeld zuging, zeigen allein zwei Zehn-Minuten-Strafen, sieben gelbe und zwei rote Karten, gleichmäßig auf beide Mannschaften verteilt. Von den Münchner „Löwen“ war zunächst gar nichts zu sehen. 10.000 mitgereiste blau-weiße Fans verhielten sich auffällig ruhig, nachdem schon nach zehn Minuten Frank Gießelmann das 1:0 für Neunkirchen erzielt hatte. Und in der Folge hatten die Schwarz- Weißen Chancen, um drei Spiele zu entscheiden.

Aber wie das so ist — wenn die einen das Toreschießen vergessen, stellen die anderen irgendwann, kurz vor Schluß den Spielverlauf auf den Kopf. Wie in der 74.Minute, als Thomas Miller den Ausgleich erzielte. In der hektischen Schlußphase mit den beiden roten Karten für Gießelmann und Brueckner war München dann dem Sieg sogar näher als die Borussia, die zu viele Kräfte gelassen hatte.

Ob das 1:1 einem der beiden Alt- Bundesligisten nützt, wird sich am 16.Juni erweisen, wenn die Aufstiegsrunde komplett ist. Vorerst ist Hessen Kassel nach dem 2:0 gegen den 1.FC Pforzheim Tabellenführer. Nichts genützt hat Borussia Neunkirchen die Anwesenheit des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, der wie schon bei den gescheiterten Aufstiegsbemühungen des 1.FC Saarbrücken in den letzten beiden Jahren vom Glücksbringer zum fußballerischen Hiob zu degenerieren scheint. Günther Rohrbacher-List

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen