: Homogenisierung
■ Jugoslawiens Ethnien seit Jahrzehnten auf dem „Heimweg“
Bereits zu Zeiten der Machtübernahme durch die Tito-Partisanen und dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es überall im neuen sozialistischen Jugoslawien zu großen Völkerwanderungen. Die Versuche der Kommunisten, diese als „natürlich“ zu erklären, waren spätestens dann gescheitert, als sich heraustellte, daß die Landbevölkerung nicht wie angenommen bunt gemischt in die neu entstandenen Industriezentren abwanderte. Die Volkszählungen zeigten ganz andere Resultate: Zwar gab es in der Tat in den einzelnen Republiken Landflucht; aber die Menschen zogen nicht unmittelbar in die nächstgelegene Metropole. Hunderttausende Kroaten und Serben wanderten aus der Republik Bosnien-Herzegowina ab — die Kroaten nach Zagreb, die Serben in Richtung Belgrad. Im Gegenzug übersiedelten immer mehr Muslimanen aus Serbien und Kroatien nach Sarajewo, dem islamischen Zentrum — Tendenz steigend.
Waren es in den fünfziger Jahren immer nur Zehntausende, die sich auf den Weg „heimwärts“ machten, so waren es in den siebziger Jahren schon Hunderttausende — am gravierendsten war dabei die „nationale Homogenisierung“ der Albaner und Slowenen. Lebten noch kurz nach Kriegsende weniger als 80 Prozent aller Slowenen in Slowenien, so sind es heute 97 prozent. Die jugoslawische Hauptstadt Belgrad zählte einst 30.000 Slowenen — heute sind es gerade mal 2.000. Jugoslawische Soziologen verfolgen das Phänomen der „nationalen Homogenisierung“ bereits seit den sechziger Jahren. Zahlen durften aber erst seit Mitte der achtziger Jahre veröffentlicht werden. Eher schüchtern hatten sie nach Ursachen und Beweggründen für die jeweilige Abwanderung gefragt. Heute wissen sie, daß die lokalen KP-Oberen den Haß unter den Bevölkerungsgruppen so subtil ausgespielt hatten, daß die jeweilige Minderheit zur Abwanderung zumindest „ermutigt“ wurde. Roland Hofwiler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen