: »Das wäre wie McCarthy«
■ Alle SPD-Abgeordneten wollen sich auf Stasi-Mitarbeit überprüfen lassen/ Auch Harry Ristock hat trotzdem Gewissensbisse
Berlin. Offensichtlich sind alle 76 Abgeordneten der SPD-Fraktion bereit, sich auf eine mögliche Stasi- Mitarbeit überprüfen zu lassen. Das deutete sich in einer Fraktionssitzung am gestrigen Nachmittag an. Selbst Harry Ristock, Partei-Linker und Überprüfungs-Gegner, will eine entsprechende Zustimmungserklärung unterschreiben (siehe Interview). Sie ermächtigt den Stasi-Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Joachim Gauck, eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen und das Ergebnis dem von CDU und SPD geplanten parlamentarischen Ehrenrat zu übermitteln. Über den Ehrenrat soll das Abgeordnetenhaus am Donnerstag abstimmen. Der Antrag der Opposition, einen Untersuchungsausschuß mit der Stasi-Überprüfung zu betrauen, wollen die Regierungsparteien zunächst vertagen und in die Ausschüsse überweisen.
Auf Kritik stießen die SPD-Beschlüsse von gestern bei der Opposition. Sie stößt sich daran, daß die SPD-Abgeordneten ihre Zustimmungserklärung nur für eine Auswertung durch den Ehrenrat abgeben wollen. Die Fraktion Bündnis 90/ Grüne sprach von einer »Blockadepolitik« gegenüber dem Recht der Opposition auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Am Rande der SPD-Fraktionssitzung sprach die taz mit Harry Ristock.
taz: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt erwartet von allen seinen Abgeordneten, daß sie sich auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit untersuchen lassen. Sie auch?
Harry Ristock: Ich habe meine Zustimmungserklärung abgegeben — mit schweren Bedenken. Das erste Mal in meinem Leben habe ich fast gegen mein Gewissen unterschrieben.
Warum?
Es geht darum, eine wahnwitzige, vergiftende und verunglimpfende Auseinandersetzung zu stoppen. Erich Mielke muß eigentlich Triumphe feiern, denn die Saat geht auf. Die, die im Westen 40 Jahre parlamentarische Demokratie aufgebaut und geübt haben, werden jetzt von den Folgen der Stasi in Mitleidenschaft gezogen. Aber meine Ostberliner Fraktionskollegen sind in einer völlig anderen Befindlichkeit. Ich will ihnen gegenüber Solidarität üben. Zweitens will ich Schaden von der sozialdemokratischen Partei abwenden. Der Verdacht soll nicht aufkommen, die SPD wollte etwas verdecken.
Unzufrieden sind Sie trotzdem?
Der richtige Weg wäre es gewesen, wenn im Fall von Schuld der Staatsanwalt tätig wird und dann ein Gericht Recht spricht. Der Weg, den die SPD-Fraktion jetzt wählt, ist wenigstens annähernd ein rechtsstaatlicher. Die Gauck-Behörde stellt fest: Stasi-Mitarbeiter, ja oder nein? Alles andere — mögliche Besuche von Abgeordneten in irgendwelchen Etablissements — stehen nicht zur Debatte. Und es gibt Rechtsbeistände. Glücklich und zufrieden bin ich trotzdem nicht.
Das hatten Sie gefürchtet? Daß Informationen über das Privatleben von Politikern, die die Stasi gesammelt hatte, öffentlich werden?
Diese Gerüchte gibt es jetzt schon. In einer der Fraktionen, die den Untersuchungsausschuß beantragt haben, ist schon geredet worden: Na, wann warst du denn das letzte Mal im Puff? Wenn sich Bündnis 90/Grüne und FDP mit diesem Untersuchungsausschuß durchsetzen, dann wäre das dem McCarthy-Ausschuß ähnlich, der in den USA in den fünfziger Jahren sogenannte antiamerikanische Umtriebe untersuchte. hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen