: Moskauer Messing
Hansgünther Heyme inszeniert „Moskauer Gold“ ■ Von Gerhard Preußer
Die Großen der Weltgeschichte wurden früher oder später alle Theaterfiguren: Caesar, Wallenstein, Danton, Napoleon. Die Geschichte dachte man sich als ein Drama: Auftritt, Abtritt, Zwischenakt und Pause. Nur der Schlußapplaus fehlte noch. Geschichte im Drama, Geschichte als Drama, so war es früher. Seither hat sich die Weltgeschichte durch Beschleunigung selbst verflüchtigt. Alles, was geschieht, ist heute schon Geschichte, nicht erst das, was einst geschah. Schlechte Zeiten für Geschichtsdramatik. Tariq Ali und Howard Brenton wissen das, und es stört sie nicht. Sie stellen große Männer auf die Bühne: Gorbatschow und Jelzin. Ali und Brenton glauben ganz naiv an den einen Menschheitsprozeß, der sich Geschichte nennt, und zeigen uns sein allerletztes Stadium: Schreckensbilder aus der russischen Stagnation. Als gute Sozialisten wissen Ali und Brenton, daß die Massen die Geschichte machen, nicht einzelne. Also zeigen sie Putzfrauen aus dem Kreml und die Familie eines kleinen KGB-Beamten, also montieren sie typisierte Vertreter der Muslime, Balten, Bergarbeiter, Apparatschiks und Mafiosi in den Dialog von Gorbatschow und Jelzin. Doch Zentrum bleibt die Zentrale. Die Vielfalt gesellschaftlicher Faktoren wird eingebracht, um die Fesseln für das Handeln des großen einzelnen zu zeigen. Darstellungsform und Dargestelltes widersprechen sich. Die Scheinpolitisierung erfolgt durch Personalisierung. Die Erkenntnis, die in Büchners Dantons Tod zum ersten Mal zu ahnen ist und die dann Brecht in Arturo Ui zur Trivialität versimpelt, daß persönliche Verantwortung auf dieser Ebene eine unpassende Kategorie ist, wird in Moskauer Gold schlicht ignoriert. Hier wird noch gut hegelianisch nach dem untergetauchten Geschäftsführer des Weltgeistes gefahndet. Jörg Michael Koerbls Farce Gorbatschow-Fragment, die im letzten Jahr in der Ostberliner Volksbühne aufgeführt wurde, hat trotz ähnlich personalisierter Geschichtsbetrachtung dagegen den Vorteil der Ironie. Koerbl ziegt Kasperlfiguren. Ali und Brenton zeigen lebende Leitartikel.
Für die deutsche Erstaufführung bei den Ruhrfestspielen haben die Autoren Änderungen nachgereicht. 1990, in der Buchfassng, war Raisa Gorbatschows Warnung „Dafür werden sie dich töten“ die Reaktion auf Gorbatschows Satz: „Die alte Partei ist am Ende.“ 1991 folgt derselbe Satz jetzt auf sein Bekenntnis „Ich bin und bleibe Sozialist.“ Die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen Gorbatschow und Jelzin blieb damals offen, nun wird die Schlußdebatte zwischen beiden ausgeweitet zu einer Generalabrechnung. Gorbatschow wirft Jelzin Illusionen über die Marktwirtschaft vor, und Jelzin kritisiert an ihm, er träume immer noch von einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Schon von der politischen Vergangenheit der Autoren her (Tariq Ali war Aktivist der trotzkistischen Bewegung) konnte man vermuten, wo ihre Sympathien liegen: bei Gorbatschows Idee einer „allgemeinen freien Entwicklung“ als drittem Weg. Das Stück hat als Geschichtsdrama über die Zukunft zwei Schlüsse: Im ersten wird Gorbatschow von einem als Popen verkleideten Mitglied der Moskauer Mafia abgeknallt, im zweiten sitzt er im 21.Jahrhundert mit Raisa beim Tee und bewilligt großzügig Weizenlieferungen an die hungernden USA, trotz der katastrophalen Menschenrechtssituation dort. Der optimistische Glaube der Autoren an die lichte Zukunft des demokratischen Sozialismus ist also immerhin durch ein Gran Selbstironie getrübt.
Meyerhold, der russische Theaterregisseur aus der Frühzeit der Sowjetunion, ist der ästhetische Pate des Projekts. Seinen Prinzipien der Episierung, Filmisierung und Typisierung versuchen Ali und Brenton zu folgen. Ein Theater, das sich sowohl auf seine ursprünglichen primitiven Elemente wie Maske, Tanz und Akrobatik besinnt als auch die avancierten ästhetischen Mittel des Films benutzt, wollte Meyerhold als das neue Revolutionstheater durchsetzen. Bei der Londoner Uraufführung scheint es der Royal Shakespeare Company gelungen zu sein, diese meyerholdsche scharfe Mischung zu erreichen. Bei Hansgünther Heyme und dem Essener Schauspiel ist das meyerholdsche Konzept auf gelegentliche Filmprojektion und etwas Unordnung auf der Bühne geschrumpft. Nur ein zentraler Bildeinfall grundiert die Inszenierung: An der Rückwand steht quer über die ganze Bühnenbreite eine Menschenschlange, unmerklich langsam schiebt sie sich gelegentlich voran, ohne kürzer zu werden. Hier steht das stumme Volk, das leidende Objekt der handelnden Subjekte auf der Vorderbühne. So versucht die Inszenierung immerhin ein Gegengewicht zur personalisierten Dramaturgie des Stückes zu schaffen. Alle symbolischen Theatralisierungen historischer Ereignisse sind in den Film verlagert. Weder die Revolutionsfeier von 1917 noch der Mauerdurchbruch von 1989 wird auf der Bühne inszeniert. Filmprojektion ist einfacher, billiger, langweiliger. Heymes dritter Regieeinfall ist ähnlich zwiespältig. An den Anfang und an das Ende setzt er Satzfetzen aus Tschechows Kirschgarten. „Ich bin ein entwickelter Mensch. Ich lese allerlei bemerkenswerte Bücher. Und doch weiß ich im Grunde nicht, was ich eigentlich will, ob ich leben bleiben soll oder mich totschießen“, sagt da ein Mann mittleren Alters. Er sagt das vor der Oktoberrevolution, und er sagt das heute, und er sagt es auch irgendwann zwischendurch, als er sich in eine der Szenen des Stückes verirrt. Wiederum wird anonyme Privatheit in das Stück montiert als Ausgleich für den Prominentenkult. Aber was ist der Erkenntnisgewinn? Rußland bleibt Rußland, Tschechow hat immer recht? Konzeptionelle Ideen hat Heyme also schon, doch die Schauspieler läßt er sich nur hastig durch das Stück brüllen. Keine Szene kann sich zu sinnlicher Präsenz entfalten, alles wird nur durchgehaspelt, abgespult. Gorbatschow und Jelzin sind nicht Robespierre und Anton, Tariq Ali und Howard Brenton sind nicht Georg Büchner und Karl Gutzkow, und Heyme ist nicht Meyerhold. Wenn sie's nur wüßten.
Tariq Ali/ Howard Brenton: Moskauer Gold . Regie: Hansgünther Heyme. Ausstattung: Wolf Münzer. Mit Volker Lippmann, Peter Kaghanovitch, Donia Weber, Hans Schulze. Weitere Vorstellungen heute in Recklinghausen, in Essen am 1., 2.Juni.
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