: Wo die Tomatenpfalnzen besser gedeihen
■ Theodor di Ricco performt als "Big Daddy"
»There are things I like and there are things I don't like«, proklamiert Big Daddy alias Theodor di Ricco und gibt damit den Auftakt zu einer einstündigen Schimpftirade über jene alltäglichen Erscheinungen, die man in Berlin selbst allzugut kennt. Sie beginnt bei uninspirierten Künstlern und deren Ausstellungen, zieht sich über Autofahrer, die Radfahrer Theodor beim Überholen abdrängen, bis zu prallen Damen in Kunstlederröcken — die mag er wiederum — , deren Frisuren den Pudeln von Transvestiten ähnelten.
»Wie definierst du denn genau „positiv“ und „negativ“?« meldet sich eine leise Stimme aus dem Publikum zu Wort. Das wird erst einmal abgetan. »Zu den philosophischen Punkten kommen wir später«, meint der Redner.
Und während Big Daddy plaudert, nörgelt, belehrt und Anekdoten auf eine Art zum Besten gibt, die jeden Showmaster des Öffentlich-Rechtlichen vor Neid erblassen ließe, übermalt sein »Sohnemann« Steve Bruns im Hintergrund ein Bild: Zuerst Weiß, dann Braun und letztendlich Gelb — »die Farbe für die 90er schlechthin«. Doch auch damit ist Big Daddy nicht zufrieden, und er muß es wissen, denn sofern er sich nicht in Berlin über die niedrigen Temperaturen ärgert, betreibt er im sonnigen Sacramento die Gallery »Sotodo« — kurz für »Something to do«, der Name ist Programm. Die sollten wir uns alle mal ansehen, empfiehlt Big Daddy, Sacramento am besten auch gleich. Schließlich stammten wir ja fast alle aus ähnlichen, kleinen Provinznestern. Das ist eine Tatsache, die sich Theodors Publikum bei der Premiere seiner neuen Reihe in der Galerie Loulou-Lasard wohl nicht gern eingestehen wollte, obwohl derartige urbane Schlupfwinkel oft viel interessanter sind als Metropolen.
Reich gemacht haben Big Daddy seine Bilder auch in Sacramento nicht: »Die Leute dort kaufen eben lieber schnelle Boote statt Kunst und verschmutzen die Umwelt mit Bierdosen«, und schon wieder ist Big Daddy bei den Punkten angelangt, die er nicht mag. Vielleicht erklärt sich aus dieser leidvollen Erfahrung sein sympathisches »gib Kunst keine Chance«, das in großen Lettern an der Wand prangt. Auch wenn di Ricco den Künsten keine Chance gibt, so pflegt er zumindest eine: die der Unterhaltsamkeit. Den Fehler, den Redner und Performer seiner Art oft begehen, langweilig, ausufernd oder gar belehrend zu werden, vermeidet er. So väterlich, wie sein Name nahelegt, ist er gar nicht.
Wem der Weg nach Sacramento zu weit ist, der hat noch Gelegenheit, dem gesprächigen Kalifornier in Berlin zu lauschen, bevor sich dieser wieder in wärmere Breitengrade, »in denen die Tomatenpflanzen besser gedeihen«, zurückzieht, um Abstand vom hektischen Großstadtleben zu gewinnen. Karsten Wolf
Am 25. Mai, 22 Uhr in der Schokoladefabrik, Ackerstraße 169/170, Berlin Mitte; alle weiteren Performance-Daten im Tagesprogramm (bis 13. Juni)
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