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Ein ganz fieser Logarithmus

■ Binningers ewige Glühlampe und das Narva-Osram-Dunkel — 8. Lieferung

Noch immer gibt es nichts Neues über den Flugzeugabsturz Dieter Binningers zu sagen, außer daß sich nun schon die zweite Wahrsagerin gemeldet hat, die herausgefunden zu haben meint, Binningers Absturz sei kein »gA« (geplanter Absturz« gewesen. Die erste Spökenkiekerin war eine Beraterin des Physikers Hartmut Schmidt, ebenfalls ein Erfinder, der demnächst sogar ein eigenes Lampenpatent anmelden wird. Neulich trafen wir uns mit ihm (mit dabei war auch ein BGW- Ingenieur) und verabredeten für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit. Unser erstes Gespräch fand in einer offenen und entspannten Atmosphäre statt, in der die unterschiedlichen Standpunkte durchaus... usw. Wenig Neues gibt es auch über den Rohwedder-Mord zu sagen (vielleicht kann sich die eine oder andere noch erinnern: Am Osterdienstag wurde der Treuhandchef, er hieß Detlev Rohwedder, während eines Lino- Ventura-Films im Fernsehen ermordet!) Auch in der 'Astro-Woche‘ vom 8. Mai wird das Attentat in einen größeren Zusammenhang gestellt: »Der Mond stand im Quadrat zu Merkur. Das bedeutet Verluste für die Zivilbevölkerung. Neptun befand sich in Opposition zu Pluto. Das verweist auf Illusionen und auf explosive Emotionen. Auf riesige Enttäuschungen.« [Pluto steht die nächsten 200 Jahre nicht in Opposition zu Neptun — der Typ hat keine Ahnung - d.S.] Recht hat er, der Autor: Kurt Allgeier (sic!). Aber was folgt daraus? In unserer Ratlosigkeit machten wir uns zunächst einmal daran, den Leiter der »SoKo Binninger« in Helmstedt, Kommissar Brich, irgendwie mit dem Leiter der »SoKo Treuhand«, Schmidt, in Kontakt zu bringen. Und das gelang uns auch in etwa. Beide Bullen haben nämlich unsere schlechte Meinung von der Polizei durcheinandergebracht. Und wir gehen (mit Wolfgang Neuss) davon aus: »Die Verwirrung muß noch größer werden.« Es sind prima Bullen, das wollten wir damit sagen.

Was Narvas Absturz durch Osrams Planung betrifft, so hatten wir in den letzten Wochen das Gefühl, daß sich das Berliner Glühlampenwerk langsam berappelt. Eigentlich hätten wir bereits stutzig werden müssen, als der allein schon vom Aussehen her völlig bescheuerte 'Wiese‘-Herausgeber, Andreas R. Wiese, am 1. Mai von einer erneuten »Wende« sprach und — mit Blick auf Narva — davon ausging, daß es »mit unserer Stadt vorwärts geht«, was »die meisten Berliner bereits merken«. Dann wurde Narva-Geschäftsführer Schlichting von der 'Zeit‘ als äußerst optimistisch geschildert und in der 'Morgenpost‘ sprach Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Abshagen (was für ein Name für Germanisten und Wirtschaftshistoriker!) davon, daß »die Chancen, daß Narva über den Berg ist, gut stehen«. Alles Propaganda natürlich. Aber wir depperten Linken fallen natürlich sofort auf solchen Mist rein! Erst ein Berufsoptimist von der CDU, und ein wirklicher BGWer, konnte uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen:

Erstens meldet Osram plötzlich Rechtsansprüche auf ihre Energiesparlampen-Lizenzen an. Bis zur Wende wurden solche, in der DDR Doppelrohrlampen genannten Kompakt-Leuchtstofflampen bei Narva noch »quasi mit der Hand geschnitzt«, wie BGW-Pressesprecher Dr. Liewald einmal erzählte. Dann kaufte Narva aber im letzten Jahr eine Fertigungsstrecke von Osram dafür, die sie mit den darauf produzierten Energiesparlampen quasi abstotterten. DieAnlage war drei Jahre zuvor für sechs Millionen DM bestellt worden, Schalck-Golodkowski stellte dafür dann aber zwölf Millionen in Rechnung — bei der Außenhandelsstelle der DDR, und Narva hatte schließlich 21 Millionen zu bezahlen, nach der Wende. In der 'Süddeutschen‘ vermeldete Osram, sie bekämen 20 Millionen DM und dafür würden sie auch ein Jahr lang die damit hergestellten Lampen abnehmen. Letzteres wird übrigens bei Narva bestritten. Egal. Es ist jedenfalls kein feiner Zug, über irgendwelche Patentrechtsansprüche an diesen Lampen noch zusätzliche Gelder von Narva einzufordern. Aber Osram ist eben ein Schweine- Profitcenter (von Siemens).

Zweitens kommt das BGW, durch Rohwedders Tod nicht zuletzt, einfach nicht in klarere Perspektiven: Zwar gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Konstanzer Erfinder Holzer, der eine neue Kompakt-Leuchtstofflampe (in Form einer Doppelhelix) entwickelt hat — namens Prolite (Wunderlampe) —, aber dazu bedarf es einer neuen Fertigungsstrecke. Die ehemaligen Narva-Maschinenbauingenieure haben sich in einer Prolux GmbH selbständig gemacht und sind bereits schwer am Entwickeln, aber sie wollen natürlich Bargeld sehen (die Firma besteht aus fast 1.000 Mann), außerdem müßten noch einige weitere Firmen zur Konstruktion der Anlage herangezogen werden. Das setzt aber eine größere Investition voraus und die könnte nur der künftige Narva-Besitzer leisten. Das wäre zum Beispiel der japanische Konzern, der vom Tokioter Büro der Unternehmensberaterfirma Price Waterhouse betreut wird und der auch schon der Treuhand ein Sanierungskonzept vorgelegt hat. Aber es gibt eine Prioritätenliste bei der Treuhand und auf der rangiert das ostasiatische Kapital eben an letzter Stelle (»Den Japsen keinen Millimeter nachgeben!« — Das war zum Beispiel das erste, was die rassistische neue französische Ministerpräsidentin zu Protokoll gab.) Neuerdings hat ein weiterer Narva-Interessent sich bei der Treuhand gemeldet: ein Stuttgarter Immobilien-Besitzer namens Konsor oder so ähnlich. Was ihn an der Glühlampenproduktion plötzlich reizt, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben, es sei denn, man enttarnt ihn demnächst als Osram-Strohmann. Auf jeden Fall befürchten die BGWer — und wohl zu Recht —, daß sie mit ihm höchstens noch eine Galgenfrist als »kleine Glühbirnenbude« haben — für eine Weile, denn groß investieren, gar mit »Weitblick auf den Weltmarkt«, wird dieser knickerige Schwabe wohl kaum, fürchtet man, wie gesagt, im BGW (es arbeiten viele Friedrichshainer dort und die denken bekanntlich ähnlich wie die Kreuzberger über die Schwaben!).

Drittens wurde ein Hesse (aus Frankfurt am Main) als neuer Leiter der Materialwirtschaft eingestellt. Der alte wurde im Zusammenhang der nach Binningers Absturz vom Stapel gelaufenen »Jürgen-Janthur-Affäre« im BGW entlassen. Als halbe Oberhessen teilen wir erst einmal die Vorurteile gegen den neuen Frankfurter voll und ganz... (ich sage nur: Klingelschmitt!)

Viertens, der Vertrieb kommt zwar durch den ehemaligen Philips-Manager Brunswick in Hamburg langsam in Gang. Die Regimegeschädigten der BGW beklagen aber, daß noch immer der ehemalige Ministeriale Dr. Thiele Vertriebsleiter ist, und ferner, daß dementsprechend noch zu viele Vollbeschäftigte (64) im Vertrieb rumhängen — anstatt daß man gerade in dieser im Aufbau befindlichen neuen Abteilung auf (freie) Provisionäre setzt. Als vom Regime quasi Beschenkte (Westdeutsche) wollen wir uns aber in dieser Frage zurückhalten. Auch was den Vertrieb betrifft, müssen wir erst einmal berichtsmäßig kurztreten: Über die Warenästhetik wird sich immer wieder Gedanken gemacht (zuletzt wieder in der Ausstellung Metropolis), aber bereits die Produktionsästhetik ist weitgehend den öffentlichen Diskussionen entzogen (wie wir gerade wieder mit Georg K. Glaser diskutieren konnten — siehe oben). Ganz finster sieht es jedoch mit derHandelsästhetik aus, die vor allem im Orient kultiviert worden ist. Die Handelsästhetik ist hierzulande höchstens ein Problem der Kriminalistik, mal abgesehen von einigen unverfrorenen Verwissenschaftlichungen im Zusammenhang mit Marketing (Scientia Sexualis statt ars erotica eben!).

Wie in der letzten Lieferung bereits berichtet, ist Binningers Langlebensdauerglühlampenfirma Vilum- Videor, in der jetzt »mehr oder weniger« die Commerzbank mitbestimmt, auf dem besten Wege, eine reine Handelsfirma zu werden, die chinesische Elektronikgeräte, in erster Linie Energiesparlampen, sowie Philips- Batterien vertreibt. Das heißt, es geht primär — um »Lampen drücken«. Unter der Ägide des ehemaligen NVA- Informatikers Herrn Weise und der Shanghaier Germanistin Miß Zou, sind mittlerweile vier gescheiterte Philosophen heftigst am »Drücken«. Eine Irrentruppe — genau besehen: Der eine arbeitete nach einem Philosophiestudium in einer Meliorationsgenossenschaft, wo er Abflußgräben sauberhielt, war dann Bürgermeister eines Dorfes in der Priegnitz und gibt jetzt den 'Priegnitzer Anzeiger' heraus, der zweite arbeitete nach dem Studium in verschiedenen Westlandwirtschaften und -zeitungsredaktionen, der dritte, ein ehemaliger Maschinenbauingenieur und EDV- Techniker bei Narva, ist seit Ende der Sechziger Hobby-Trotzkist und Pink Floyd-Fan, nebenbei Umschuler neuerdings, der vierte ist Physiker und Börsenspekulant, war bei der Bundesanstalt für Materialprüfung kurzzeitig mit Entsorgungskonzeptionen befaßt und kann von allen vieren seine querulatorischen Fähigkeiten am klarsten artikulieren. Aber ich wollte hier gar nicht so sehr ins Detail ihres »Agencements« gehen, sondern nur damit andeuten, daß dabei und dadurch und früher oder später jede Menge Erfahrungen mit der Handelsästhetik abfallen und daß dies der Weg ist, über den wir uns diesem Thema zu nähern gedenken — in der nächsten Zeit. Es sind bereits jetzt schon einige hübsche Handelsgeschichten dabei rausgekommen. (In diesem Zusammenhang möchten wir noch mal an Erwin Prachts Diktum erinnern: »Sozialistischer Realismus — ist eine Ästhetik der sozialen Aktion!«) Im übrigen werden wir diese Geschichten aber in einer der nächsten Folgen verbraten. Der Titel dieser Folge Ein ganz fieser Logarithmus stammt von Hartmut Schmidt und bezieht sich auf seine ersten Vertreter-Erfahrungen mit Großabnehmern, ganz nette haben wir dagegen mit einigen Kleinhändlern gemacht — zum Beispiel mit der Galerie Zwinger, mit Petersens »Art Burt-Kasten«, Laufis Reisebüro in der Eisenacher Straße, mit dem Café Kiryl, dem Projekt »Nebenstrecke« der G.R.A.F. (Gruppe Rosenwinkel, Ausbau 5 — ein wunderbarer Künstlerverschickungsort) sowie mit unserem ewig besoffen sich streitenden Elektriker-Ehepaar von nebenan, das einen Glühbirnenladen hat. Als eine Art erstes Resümee könnte man hier schon mal feststellen, daß das Geschäft dort am besten funktioniert, wo es sich — analog — ebenfalls um so etwas Ähnliches wie ein Agencement handelt...

Künstlergruppe

»BILD kämpft NARVA«

Laut Deleuze/Guattari besteht ein Agencement aus mehreren Plateaus, die über Mikro-Fissuren kommunizieren. Zum Begriff des Plateaus führen sie den Kommunikationsforscher Gegory Bateson an, der darunter eine zusammenhängende, in sich selbst vibrierende Intensitätszone versteht, die sich ohne jede Ausrichtung auf einen Höhepunkt oder ein äußeres Ziel ausbreitet«. Vereinfacht gesagt und auf die vier Energiesparlampen-Vertreter bezogen, könnte man unter Agencement eine individuelle Existenzweise verstehen, die in der An- und Abstoßung bei Kommunikationsprozessen Gelegenheiten wahrnimmt, am Schopfe packt und keine Berufs ziele oder Karriere- Strategien (mehr) verfolgt. Alles klar?

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