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Sonia Gandhi sagt nein

Nach der Absage der Witwe des ermordeten Chefs der indischen Kongreßpartei ist die Frage der Nachfolge weiter offen/ Ex-Premierminister offenbar Opfer eines Selbstmordkommandos  ■ Aus Delhi Sheila Mysorekar

Sonia Gandhi, die Witwe des ermordeten Chefs der Kongreßpartei, hat es abgelehnt, seine Nachfolge in diesem Amt anzutreten. Die Nachrichtenagentur 'UNI‘ zitierte Frau Gandhi mit den Worten, „die Tragödie des Mordes an ihrem Mann mache es unmöglich, den Vorsitz der Kongreßpartei zu übernehmen“. Eine Arbeitskommission der Partei hatte sie am Mittwoch ernannt, ohne sie vorher zu informieren oder zu fragen. Mit ihrer Absage ist nun ungewiß, wer die Partei weiter führen wird. Die beiden ursprünglich noch für diese Woche anberaumten Wahlgänge sind nach dem Attentat auf Mitte Juni verschoben worden.

In Neu Delhi schien am gestrigen Donnerstag wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Am Donnerstag waren die Geschäfte wieder geöffnet, Busse und Züge verkehrten, „Ruhe und Ordnung herrschen im Land“, verkündeten hier die Schlagzeilen erleichtert. Nach der Ermordung von Indira Gandhi 1984 hatte eine Welle der Gewalt das Land erfaßt.

Damals richteten sich die Aggressionen gegen die Sikhs, da Indira Gandhi von Sikhs ihrer Leibwache erschossen wurde. Als am Dienstag abend die Ermordung Rajiv Gandhis bekannt wurde, verbarrikadierten sich die Sikh-Geschäftsleute, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, wer für den Mord verantwortlich war. Die Sikhs erinnern sich noch gut an die Zeit nach Indiras Tod. Andere tätigten Hamsterkäufe, ebenfalls in Befürchtung wochenlanger Unruhen.

Doch Rajiv hatte nicht das Format und das Charisma seiner Mutter, er war nicht Premierminister, als er ermordet wurde. Sein Tod wird auf jeden Fall einschneidende Folgen für die indische Politik haben, vor allem im Hinblick auf die laufenden Wahlen. Aber in eine tiefe Krise scheint seine Ermordung das Land nicht zu stürzen. Sowohl in der Hauptstadt Delhi wie auch in anderen Staaten, insbesondere in Andhra Pradesh, hat es Zusammenstöße zwischen Kongreßanhängern und Sympathisanten anderer Parteien gegeben. Etwa ein Dutzend Menschen sind in den Unruhen nach Gandhis Tod bisher umgekommen, einige davon wurden bei Zusammenstößen von der Polizei erschossen. Doch die Aggression ist nicht gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gerichtet.

Inzwischen gibt es erste Anhaltspunkte bezüglich des Anschlags. Bei einem der 15 Toten, die mit Gandhi zusammen in die Luft gesprengt worden waren, fanden sich Teile einer Bombe. Die Leiche einer jungen Frau hatte einen Gürtel mit Batterien und Sprengstoffstäben umgeschnallt. Gerichtsmediziner haben die Frau bisher noch nicht identifizieren können. Die Polizei geht davon aus, daß es sich um ein Selbstmordkommando der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) handelt. Nach Angaben indischer Regierungsvertreter hat die Polizei am Mittwoch die Wohnungen tamilischer Separatisten in Madras untersucht. Vertreter der LTTE haben jedoch jede Verantwortung für den Anschlag zurückgewiesen.

Während Tag und Nacht endlose Menschenschlangen an dem aufgebahrten Körper Rajiv Gandhis vorbeiziehen, haben sich in der Politik schon entscheidende Dinge verändert. Die größte Überraschung war sicherlich die Ernennung von Sonia Gandhi, der Witwe Rajiv Gandhis, zur Vorsitzenden der Kongreßpartei. Sonia Gandhis Parteivorsitz war denn auch alles andere als unbestritten. Namen von altgedienten Kongreß-Politikern waren im Gespräch gewesen.

Die Ernennung Frau Gandhis war dann auch für die Parteibasis eine Überraschung. Sonia Gandhi ist Italienerin. Sie lernte Rajiv Gandhi während ihres Studiums in Cambridge kennen. 1968 heirateten die beiden, sie selbst trat jedoch außer als Wahlkampfhelferin für ihren Mann politisch nie in Erscheinung. Sie gilt als schüchtern und nicht als besonders profiliert.

Ihre Ernennung war möglicherweise ein taktischer Zug der Parteimächtigen, die eine leicht zu manipulierende Person als Vorsitzende gewählt haben, um in Ruhe die Machtkämpfe um den „wirklichen“ Kandidaten hinter den Kulissen ausfechten zu können. Ironischerweise ist Indira Gandhi aus denselben Gründen als Parteivorsitzende gewählt worden. Sie entpuppte sich dann als starke und unabhängige Politikerin. Andere Spekulationen gehen dahin, daß der Kongreß auf das Mitleid der Wähler setzte, die einer jungen Witwe viel Sympathie entgegenbringen werden.

Rajpal Sephi, der in Delhi ein kleines Geschäft mit Stoffen und Kleidern führt, hat sich bei seiner Stimmenabgabe für den Kongreß entschieden. „So werden jetzt viele in Indien wählen“, meint er. „Eine Witwe mit Kindern, die ihren Mann auf so tragische Weise verloren hat, die müssen wir unterstützen.“ Diese Sympathiewelle würde einer Inderin entgegenschlagen, nicht aber einer Italienerin, die zudem noch nicht einmal besonders beliebt ist, meinen andere. „Wer will schon Sonia Gandhi als Premierministerin haben?“ hieß es weithin. Die Opposition hatte denn auch sofort den Vorwurf der Dynastie-Regentschaft aufgebracht. Sie erklärte, die Ernennung von Sonia Gandhi zeige, daß der Kongreß bankrott sei.

Die hindu-chauvinistische Bharatiya Janata Party (BJP) ist die Partei, die von einem Stimmenverlust des Kongresses am meisten profitieren würde. Sie liegt bei den Meinungsumfragen landesweit auf dem zweiten Platz. Nach dem ersten Wahltag in Delhi ergaben Umfragen, daß sie dort bis auf einen Wahlkreis sogar die stärkste Partei ist. Sollte Rajivs Ermordung und Sonias Ernennung keine Sympathiewelle bei den Wählern hervorrufen, rückt die Möglichkeit einer BJP-Regierung in greifbare Nähe. Zu deren ultrarechtem Führer Advani gäbe es in der BJP durchaus Alternativen, zum Beispiel den liberaleren Atal Behari Vajtayee (61): Auch er ist ein mächtiger Politiker in der BJP und ein möglicher Premierminister-Kandidat. Der Kongreß, der vor dem Tod Rajiv Gandhis in den Meinungsumfragen führte, kann in seiner Attraktivität für die Wähler momentan schwer eingeschätzt werden. Bisher hatte Rajiv Gandhi als Vorsitzender die Partei zusammengehalten.

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