REMINISZENZEN: „Es gibt haufenweise Musiker, die ihre Wurzeln hartnäckig verleugnen“
■ Wolfgang Niedecken, „Südstadt-Dylan“ und Cheflyriker der rheinischen Rockband BAP, über „Dylan-Ayatollahs“ und über den Einfluß des Meisters auf sein eigenes Schaffen
taz: Wolfgang, du hast kürzlich mal gesagt, Dylan sei immer noch der Größte. Was bedeutet er für dich?
Niedecken: Klar ist Dylan immer noch der Größte — gar keine Frage. Allerdings gibt es für meinen Geschmack zu viele „Dylan-Ayatollahs“, die jeden Furz von ihm feiern — was wirklich nicht sein muß. Wenn man das mal abgestreift hat, kann man darüber nachdenken, was der Mann für die Rocklyrik, für die ganze Rockmusik getan hat. Das ist nämlich eine ganze Menge. Allein wie viele Leute der auf den Weg gebracht hat, mit dem, was er initiiert und angefangen hat. Wer sich da alles auf ihn beziehen kann, ja muß, wenn er den Mut dazu hat; es gibt ja Musiker, die ihre Wurzeln noch verleugnen. Aber auch genauso welche, die zu diesen Wurzeln stehen. Die Stones zum Beispiel wären nie zu einem Album wie Beggar's Banquet gekommen ohne den Einfluß von Bob Dylan, die Beatles hätten nie Sgt. Pepper's herausgebracht.
Deiner Meinung nach hat Dylan die Rockmusik vor dem Verblöden bewahrt, gar geniale Texte geschrieben. Worin besteht diese Genialität?
Ganz einfach in der Poesie, die Texte sind poetisch. Sie sind nicht so altbacken wie das, was man bis dahin kannte. Die Beatles- und Stones-Texte — die waren nicht die Bohne poetisch. Auch nach Dylans Anfangszeit ist ja noch viel Zeug erschienen, bei dem man schon froh war, daß man irgendwie zwei Strophen zusammengereimt bekam. Bei Stücken von Dylan, die ich bearbeitete, weil sie mich interessierten, habe ich gemerkt, wie gut sie sind. Da steckt ein ganz anderes Level von Poesie drin, da gibt es Bilder, die unvermutet daherkommen, die in deinem Kopf was anknipsen. Das ist mir bei Dylan tausendfach passiert — selbst bei Texten, die eher so im Vorübergehen geschrieben worden sind, Stücke wie When I paint my masterpiece. Gerade dieser Text ist brillant, voller Assoziationen. Was da an Bildern drinsteckt — da machen andere Leute eine ganze LP draus.
Wie war das für dich, als er Ende der siebziger Jahre mit seiner christlichen Phase kam? Viele Leute fanden die Texte doch ziemlich profan...
Ich bin da sehr loyal. Die erste religiöse LP war Slow train coming. Ich stand zu der Zeit auch schon auf Dire Straits und dachte, Mann, der Typ macht mit dem Dylan eine Platte — das ist ja nicht zu fassen. Denn den Dire Straits hört man ja auch an, daß der Knopfler auf Dylan steht. Das war für den wahrscheinlich so was wie die Erfüllung eines Wunschtraums. Als ich dann anfing, die Texte zu studieren, war ich doch leicht schockiert. Hab' aber gedacht, nun ja, wenn der meint... Ich steh' nicht drauf, aber laß ihn mal machen. Als dann aber ein Jahr später Saved herauskam, war ich schon ziemlich fertig. Die Musik ist nach wie vor schweinisch gut — da ist Gospel und Soul drauf —, aber die Texte... Daran kann ich nichts Gutes finden. Saved kam daher wie die Zeugen Jehovas. Um so größer dann die Erleichterung, als Shot of love herauskam; die war nicht ganz so traktatmäßig.
In seiner Anfangsphase hat Dylan eindeutig Lieder mit einer politischen Message gemacht. Songs wie „Blowin' in the wind“ oder „Hard Rain“ haben Millionen junger Leute beeinflußt. Glaubst du, daß Popularität und der Einfluß der Rockindustrie dazu beitragen, daß man an politischem Engagement verliert? Daß man lustlos wird? Schließlich ist Dylan irgendwann an einem Punkt angelangt, wo er ganz bewußt andere Lieder machte — schon aus Protest...
Das war schon in der Zeit des Umbruchs vom Folkie zum Rocksänger, der mit der LP Highway 61 Revisited stattfand, sowie mit seinem Auftritt auf dem Newport Folk Festival, wo er die Leute schockte, indem er mit der E-Gitarre auf die Bühne kam. Er wurde ständig in die Ecke gedrückt von dieser Erwartungshaltung. Da fängst du natürlich an, dich kontrapunktisch zu verhalten. Da sagst du auf einmal: Nee, genau so eben nicht!
Du galtest in deiner Anfangsphase in Köln als der „Südstadt-Dylan“. Könnte man sagen, daß es dich und vielleicht BAP ohne Dylan nicht gegeben hätte?
Das könnte sein. Es gäbe uns aber genausowenig, wenn es die Stones nicht gegeben hätte oder die Kinks. Aber ich hätte wohl kaum die Texte geschrieben, die zu BAP geführt haben, wenn da nicht Dylan gewesen wäre.
Wie erklärst du dir Dylans offensichtliche Lustlosigkeit bei vielen seiner Konzerte?
Das Paradoxe ist doch, daß jemand, der keine rechte Lust hat, eigentlich nicht auf eine Endless-Tournee geht. Aber er macht das, er will ja spielen. Doch er will anscheinend so spielen, wie er sich das denkt. Und das paßt nunmal überhaupt nicht in die Spielregeln des Showbusiness rein. Er hält es wohl nur noch auf Tour aus und will auch auf die Bühne. Er will sich aber den Regeln nicht stellen und spontan entscheiden, was er gut findet und was nicht — eine Einstellung, die ihm von vielen Fans nicht gerade in Dankbarkeit abgenommen wird. Beim Konzert vom Juli 1990 in Hamburg waren hervorragende Musiker in seiner Band. Die waren flexibel wie nur was. Als Musiker siehst du, was da passiert auf der Bühne, welche Stolperdrähte angelegt sind in dem, was der große Meister da anfängt zu spielen. Und statt sich Witzchen auszudenken, hätte er lieber mit seinen Leuten mal ordentlich geprobt. Wenn das eine junge Band wäre — denen würde ich empfehlen, dem Frontman mal gehörig den Kopf zu waschen.
Dylan kommt ja jetzt im Juni wieder in die Bundesrepublik. Wirst du ihn dir anschauen?
Na klar!
Kannst du dir vorstellen, ähnlich wie Dylan mit fünfzig noch auf der Bühne zu stehen — egal wie viele Leute dich sehen und hören wollen?
Das ist überhaupt keine Frage. Dieses Vorurteil, zum Rocken müßte man jung sein, ist doch wirklich längst widerlegt — sei es durch die Stones, die besser denn je sind, oder, wenn du noch weiter gehst, durch einen Mann wie B. B. King; wie der U 2 naßgemacht hat... Die New Kids on the Block haben bestimmt ihre Berechtigung. Aber es hat ja jetzt ein Haufen Leute gezeigt, daß man auch mit zunehmendem Alter die Volksmusik des 20. Jahrhunderts betreiben kann, ohne sich lächerlich zu machen.
Hast du persönlich noch die Vorstellung, mit politischer Lyrik irgendwas verändern zu können?
Es kommt einfach darauf an, ob man sagt: Wenn mein Lied nicht sofort den besungenen Zustand ändert, dann ist es verfehlt. Oder ob man sagt: Dieses Lied ist nichts anderes als ein kleiner Mosaikstein, der vielleicht helfen kann, Nachdenklichkeit auszulösen. Man kann also sagen: Ich lasse meine Meinung raus, und das ist dann einfach ein Diskussionsbeitrag — seht zu, was ihr damit anfangt. Das Gespräch führte Georg Stein am 3. Mai 1991
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