: Inhumanität
■ Die Aufdeckung von Zwangsadoptionen in der DDR
Inhumanität Die Aufdeckung von Zwangsadoptionen in der DDR
Die Prozeduren des staatlichen Kidnappings, die jetzt, bei der Durchsicht eines vergessenen Aktenbündels im Bezirk Berlin-Mitte, bekannt geworden sind, lösen zu Recht helle Empörung aus. Aber die Empörung wäre leer, würde sich da nicht unser aller Erschrecken hineinmischen. Wie bei jedem Fund dieser Vergangenheit, „die nicht vergehen will“, zeigt sich, daß staatliche Inhumanität immer der Mithilfe vieler bedarf. Dieser Fund macht auch deutlich, daß die Vergangenheit dieser Fluchtverhinderungs-Diktatur nicht nur ein Stasi-Problem ist. Die Familien wurden unter der Verantwortung des Ministeriums für Volksbildung zerstört, wie auch unter Federführung des Gesundheitsressorts in psychiatrischen Anstalten gefoltert wurde.
Natürlich müssen die Verantwortlichen nach Aktenlage zur Verantwortung gezogen werden. Wenn die Familienministerin Gisela Rönsch jetzt prompt nach Bestrafung der Schuldigen ruft, dann stört der Unterton. Auch das ist wieder ein Versuch, die DDR-Vergangenheit möglichst hastig der Strafjustiz zu überstellen. Aber das Aktenbündel zeigt, wie unsinnig ein solcher Versuch ist.
Immer wieder werden Aktenbündel auftauchen. Die DDR-Vergangenheit hat gerade erst begonnen. Vor allem aber: die Tatsache selbst war doch bekannt. Im Osten und im Westen wußte man, daß „Republikflüchtlinge“ ihre Kinder verloren. Natürlich ist es noch einmal etwas anderes, wenn präzise Details beweisbar sind. Vielleicht hätte es 1985 in der Bundesrepublik auch in der Linken und bei Sozialdemokraten Empörung gegeben, wenn man es schwarz auf weiß gesehen hätte, daß die Vergangenheit der zwangsadoptierten Kinder gelöscht wurde. Aber an der stillen Komplizenschaft in West und Ost hinsichtlich der Inhumanität besteht kein Zweifel. Noch bis ins Jahr 1989 war die Forderung nach Abschaffung der Zentralstelle in Salzgitter sakrosankt, auch in der taz. Die meisten von uns haben eben die Frage der Menschenrechte den bewährten Antikommunisten überlassen. Das ist der tiefere Grund, warum die Linke die Vereinigung als ihre Ohnmacht erfahren hat. Letztlich war darum auch die selbstgerechte Moral, mit der sie Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit einklagte, etwas hohl. Wir haben alle nicht mit Leidenschaft das zu wissen versucht, was man hätte wissen können. Klaus Hartung
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