piwik no script img

Eine Handvoll Hippies macht kein Millerntor

■ Brasilianische Atmosphäre und Trommelgewitter im Jahn-Sportpark/ Blau Weiß 90 — VfL Osnabrück 0:0

Prenzlauer Berg (taz) — Es gibt Schöneres, als den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark zu besuchen. Erst recht, wenn die Blau-Weißen darin spielen. »Die spielen auch unentschieden, wenn ich nicht da bin«, denkt sich dann auch mancher potentielle Zuschauer, bleibt zu Hause und die Stimmung im weiten Rund erreicht einen neuen Tiefstand.

Nicht zuletzt deshalb wird in einigen Fankreisen Blau-Weiß 90 Berlin als langweiligster Verein der Stadt gehandelt, denn »bei Hertha kannste wenigstens lachen«. Das blau-weiße Image aufzubessern starteten jetzt Tornado-Günther und Yuppy von der UFA-Fabrik »eine Symbiose aus Sport und Kultur«. Im Vorfeld wurde ein Fußballfest versprochen, das mit Hilfe der Samba-Gruppe »Terra Brasilis« dem im Maracana-Stadion zu Rio ebenbürtig sein sollte. Sollte.

Die Vorstellung der Mannschaften wurde zum Hit. »Super!«, befanden die 20 angereisten Osnabrücker Schlachtenbummler, nur mit dem rhythmischen Trommeln bei Blau- Weiß-Angriffen waren sie nicht zufrieden: »Kriegt man ja Kopfschmerzen von.« Die Polizei war da ganz anderer Meinung: »Gut für die Stimmung, die Brasilianer wissen schon, warum sie das machen.« Die Brasilianer schon.

Eigentlich sollte es ja eine St.- Pauli-Atmosphäre geben, wünschten sich die beiden Organisatoren mit einem Blick in die längerfristige Zukunft. Innerlich aufgeregt, aber nach außen hin aufgeräumt standen sie während des gesamten Spiels einem Beckenbauer gleich mit durchgedrückten Knien neben der Trainerbank. Die Veranstaltung verlief unter dem Motto: »Wenn schon auf dem Rasen nichts passiert, so doch wenigstens auf den Rängen.« Wobei es natürlich extrem schwierig ist, mit exakt 734 Zuschauern Stimmung zu erzeugen.

Blau-Weiß 90 behielt auch in seinem 18. Heimspiel der Saison seine weiße Weste. Das ist aber schon fast alles, denn die Zuschauer erlebten eingeschläfert das 20. Unentschieden. Der Verzicht auf sechs Stammspieler machte sich spürbar bemerkbar, auch wenn sich die Hinterbliebenen redlich um die zwei Punkte bewarben. Am Ende konnten die Berliner mit dem Pünktchen noch zufrieden sein, nachdem sie zwei Pfostenknaller der Osnabrücker torlos überlebt hatten.

Es fehlt halt noch einiges, bis dieses Gefühl eintreten kann, das auch den friedlichsten Bankkaufmann dazu bringt, sich mit den Worten »Halt mich zurück, oder ich kill die schwarze Sau« in die Arme des nächstbesten Wildfremden zu werfen. Eine Atmosphäre, die ältere Damen dazu hinreißt, den jungen Männern da unten Dinge entgegenzuschleudern, die sie im normalen Leben noch nicht einmal zur Schlampe von gegenüber sagen würden. Eine Handvoll Hippies macht eben noch lange kein Millerntor. Elke Wittich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen