Standbild: Hilfe für die Marshmallowe-Pimmel

■ "Bericht aus der Wissenschaft", Freitag, 20.45 Uhr, Hessen 3

Dr. Alain Gregoire vom King College Hospital London holt eine Gurke aus der Schreibtischschublade. So geht das, sagt er mit ernster Miene und injiziert eine Dosis Papavirin ins Gemüse. Mit der venenerweiternden Droge können chronisch impotente Patienten eine Erektion erzielen. In tausend Fällen, so Gergoire, läßt die nicht mehr nach. Dafür gibt es eine Broschüre.

Was original wie eine Szene aus einem Monthy-Python-Film anmutet, ist blutige Realität. Auf plastische Weise macht Joan Shanton mit seinem Bericht aus der Wissenschaft einen Querschnitt durch den aktuellen Stand der physiologischen Impotenz-Therapie. Während alle Welt noch in einschlägigen Illustrierten blättert, in denen die landläufige Meinung publiziert wird, daß derjenige, der einen Tauben in der Hose trägt, etwas an der Erbse hat, was man sensibel therapieren muß, hat sich in der Wissenschaft längst die gute alte Handarbeit durchgesetzt. Auf Diabetis zurückzuführende Durchblutungsstörung ist die häufigste Ursache für Impotenz.

50.000 Marshmallowe-Pimmel werden jährlich in den USA mit einer Erektions-Prothese ausgestopft; 300 sind es in England. Von den Bildern einer Operation werden wir nicht verschont: Längsschnitt durch den Lümmel und hinein mit dem künstlichen Dauerständer, der nach Gebrauch nach unten weggeklappt wird. Die Luxusversion arbeitet mit einer Hydraulik zum Aufpumpen. Für nicht ganz so hoffnungslose Fälle gibt es eine Pumpe, die um den Pimmel ein Vakuum erzeugt und dadurch die Schwellung begünstigt. Gegen das vorzeitige Abschwellen helfen enge Gummis um die Peniswurzel.

Das klingt alles sehr viel ironischer, als die Wirklichkeit selbst ist, unfreiwillig. Bestürzend an diesem nüchternen, kühlen Wissenschafts- Blick, den der Filmbeitrag eröffnet, ist, daß der Alltag bis hin zu den intimsten Bereichen mechanisiert und technifiziert wird (Brille, Gebiß, Zahngold, Nagel im Bein, Doppelherz, Dialyse etc.). 70.000 Anfragen erhielten die „Anonymen Impotenten“ in den USA seit ihrer Gründung vor zwei Jahren. Zehn Prozent der Amerikaner sind impotent.

Wenn bis hin zur elementaren Funktion der Fortpflanzung nichts mehr ohne Prothese vonstatten geht, so drängt sich die Frage auf, was von „dem Menschen“ nach Demontage aller Prothesen noch übrigbleibt. Eine nicht uninteressante Frage, die diesen Beitrag sicher gesprengt hätte.

Erfrischend an diesem „mechanical sex feature“ war neben der drastischen Eindeutigkeit der unverklärte Blick auf Sexualität. Via Werbeästhetik werden wir in puncto Sexualität ansonsten mit Bildern leptosomer Models und Patrick-Swayze-Visagen bombardiert. Sexualität in den Medien ist in der Regel mit einem ästhetischen Ideal verbunden. Hier jedoch sprachen Leute über ihr Sexlife, die man ansonsten auch bei „Aldi“ treffen kann. Ob man mit den plastisch vorgeführten Methoden einverstanden ist oder nicht, der Film brachte Sexualität als Thema auf den Tisch, wie man es selten erlebt: roh, unverpackt, ernüchternd. Manfred Riepe