: Die Welt braucht Ideale-betr.: "Der Guerillero als europäische Kultfigur" von Christoph Buch, taz vom 21.5.91
betr.: „Der Guerillero als europäische Kultfigur“ von Christoph Buch, taz vom 21.5.91
Auch wenn der Kurzessay vielleicht nicht von allen tazlerInnen unterschrieben wurde, scheint er doch typisch für das, was sich als schleichendes Wendebewußtsein in ihr immer mehr durchsetzt.
Da schreibt der Verfasser von den schwer zu durchschauenden Interessenkonflikten der modernen Industriegesellschaft, da er offensichtlich die langjährigen Diskussionen zur Aufhebung der widersprüchlichen Interessen vergessen — oder wahrscheinlicher — gar nicht mitgemacht hat. Sein Abschied von der Mystifizierung der Bewegung, die er sich erst erschuf, und jetzt so bildhaft ausbreitet, ist nicht nur beleidigend für alle, die sich um eine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse und um die Aufklärung über die bestehenden Machtverhältnisse bemühten, sondern ein dummdreister Angriff gegen den Antiimperialismus nach der Formel: Kommunismus=Faschismus.
Ich kann ihm nur versichern, daß er die Worte von Hugo Arce offensichtlich falsch interpretiert und auch die Aussagen der Noch-68er-Generation (grausam) nicht über Nacht falsch geworden sind. Falsch ist nur sein Wunsch, Parolen als Glaubensbekenntnise erklären zu wollen und seinen Glauben (wie er auch sein mag) an politischen Aussagen festmachen zu wollen. [...] Rudolf Stoers, Bremen
[...] Renegaten leiden immer unter dem Zwang, sich zu rechtfertigen. die taz-schreiber tun das auf drei Schienen: Erstens erklären sie pauschal den Sozialismus für gescheitert, obwohl sie intelligent genug sind, um zwischen dem Sozialismus, der nocn nirgendwo eine Chance gehabt hat und dem „real existierenden“ Sozialismus, der tatsächlich gescheitert ist, unterscheiden zu können. Zweitens erklären sie den Kapitalismus für das einzige gut funktionierende System, obwohl sie wissen, wieviel Elend, Ausbeutung und Unterdrückung systembedingt überall — nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in Deutschland und den USA — verursacht (hat). Und drittens, wie jetzt Herr Buch, sagen sie, die Revolutionäre, die sie früher verehrt haben, waren/sind genaus schlecht wie ihre Gegner.
Daß die Revolutionäre nicht alle Heilige waren/sind wie Jesus, Buddha oder Gandhi, daß sie viele Fehler (einige auch Verbrechen) begangen haben — insbesondere nachdem sie an die Macht gekommen sind —, das stimmt. Aber trotz alledem können die Renegaten zwei große Unterschiede nicht vom Tisch wischen:
1.Die Revolutionäre kämpf(t)en für ein Ideal und gegen Ausbeutung und Unterdrückung, ihre Gegner waren/ sind selbst Ausbeuter und Unterdrücker.
2.Die Revolutionäre riskier(t)en sogar ihr Leben für ihr Ideal. Die taz- Renegaten haben kein Ideal, sie arbeiten für Geld und Karriere für den Status quo mit ein bißchen Reform. Nicht einmal 1968 und 1977 haben sie irgend etwas riskiert.
Die Welt braucht Ideale. Darum sollen wir auch die Revolutionäre verehren, wobei Kritik und neue Ideen nicht unterbleiben dürfen. Brigitte Sommer, Köln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen