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Ein ausgeblutetes Land sucht seinen Frieden

Bei den heute beginnenden Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen geht es um Überleben oder Zerfall Äthiopiens  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Äthiopiens Regierung ist am Ende — aber das Leben in der Hauptstadt Addis Abeba geht weiter seinen gewohnten Gang. Worauf noch vor wenigen Wochen kaum jemand zu hoffen gewagt hatte, erscheint nun in den Bereich des Möglichen gerückt zu sein: die unblutige Übergabe der Macht vom herrschenden Regime in die Hände einer aus den verschiedenen Rebellengruppen des Landes gebildeten Übergangsregierung. Heute beginnen in London unter der Schirmherrschaft der USA Friedensverhandlungen zwischen der äthiopischen Regierung und drei Guerillaorganisationen des Landes.

Die Ausgangsposition der Regimegegner bei den Gesprächen könnte kaum besser sein: Die „Eritreische Volksbefreiungsfront“ (EPLF), die seit rund 30 Jahren für die Unabhängigkeit ihrer 1962 völkerrechtswidrig annektierten Provinz kämpft, konnte ungehindert in Eritreas Hauptstadt Asmara einmarschieren. Diplomaten in Addis Abeba erklärten, die Regierungssoldaten hätten „praktisch einfach aufgegeben“. Nur wenige Stunden später meldete die EPLF am Samstag auch die Eroberung von Assab, jener Hafenstadt, in der die weitaus meisten Versorgungsgüter für Addis Abeba eintreffen und von der aus auch die Hungerprovinzen Äthiopiens weitgehend versorgt werden. In Assab befindet sich außerdem die einzige Ölraffinerie des Landes.

Der Hauptstadt ist somit der Lebensfaden abgeschnitten. Aber die Regierung steht der Übermacht ihrer Gegner ohnehin ohnmächtig gegenüber. Außer im Westen haben die Rebellen der „Äthiopischen Volksdemokratischen Revolutionsbewegung“ (EPRDM) alle Ausfallstraßen aus Addis Abeba besetzt. Die EPRDM, eine Allianz der militärisch dominierenden „Tigre-Volksbefreiungsfront“ (TPLF) mit der kleineren „Demokratischen Volksbewegung Äthiopiens“ (EPDM), hat die Regierungsarmee aufgefordert, sich zu ergeben. Die Rebellen waren auch nach der überstürzten Abreise des früheren Präsidenten Mengistu am Dienstag, der inzwischen in Simbabwe um politisches Asyl gebeten hat, nicht zu einem Waffenstillstand bereit. Sie stehen inzwischen unmittelbar vor Addis — aber sie scheinen sich an ihre Zusage gegenüber den USA halten zu wollen, nicht vor den Friedensverhandlungen in die Hauptstadt einzumarschieren. Das Ausland hat Hilfsleistungen für den Fall versprochen, daß ein Blutbad in Addis Abeba vermieden wird.

Hilfe braucht Äthiopien dringender denn je. Rund sieben Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht, unter ihnen auch Hunderttausende von Flüchtlingen aus den ebenfalls bürgerkriegsgeschüttelten Nachbarländern Somalia und Sudan. Die Lage, die von Sprechern verschiedener Hilfsorganisationen als mindestens ebenso schlimm wie während der Hungerkatastrophe von 1984/85 beschrieben wurde, hat sich weiter zugespitzt. Tausende von Tonnen Nahrungsmittelhilfe, die in Assab lagern, können gegenwärtig nicht transportiert werden. Seit vor elf Tagen bei Kämpfen im Westen eine Brücke gesprengt wurde, sind 400.000 Flüchtlinge aus dem Sudan ohne jede Unterstützung. Selbst ein erfolgreicher Verlauf der Friedensverhandlungen in London würde die Probleme nicht kurzfristig lösen: Viele Bauern konnten ihre Felder wegen des Bürgerkriegs nicht bestellen, und die Staatskassen Äthiopiens sind leer.

Aber der Ausgang der Verhandlungen, an denen auf Rebellenseite neben EPLF und EPRDM auch Vertreter der Oromo-Befreiungsfront teilnehmen, ist ohnehin ungewiß. „Es wäre reine Spekulation, jetzt vorauszusagen, wie eine nationale Übergangsregierung voraussichtlich aussehen wird“, meinte gestern ein Diplomat in Addis Abeba. „Angesichts der Lage ist es allerdings wahrscheinlich, daß Repräsentanten des gegenwärtigen Regimes nicht in ihr vertreten sein werden.“ So einig die verschiedenen Guerillaorganisationen in ihrem Wunsch waren, Mengistu zu stürzen, so unklar ist bislang noch, ob sie sich auf eine gemeinsame Linie für die Zukunft werden verständigen können: Die EPLF fordert nach wie vor die Unabhängigkeit Eritreas — damit würde Äthiopien zum Binnenland. Das seit Ende des letzten Jahrhunderts privilegierte Volk der Amharen dürfte sich jetzt kaum von den militärisch so erfolgreichen Tigreern regieren lassen wollen, und die zahlenmäßig stärkste Gruppe der Oromo wird nachdrücklich eine substantielle Beteiligung an der Macht fordern.

Dennoch sind die Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der Konflikte Äthiopiens gestiegen. Die Evakuierung vieler Ausländer, darunter zahlreicher UN-Angestellter, aus Addis Abeba wurde von Diplomaten als „reine Vorsichtsmaßnahme“ bezeichnet. „Wir erwarten in der Hauptstadt weder Kämpfe noch Anarchie“, sagte einer von ihnen. Die Bevölkerung scheint sich Frieden zu wünschen. Während am Sonntag in vielen Kirchen für ein Ende der Kämpfe gebetet wurde, formierten sich Studenten im Zentrum von Addis Abeba zu einer friedlichen Demonstration. Auf Transparenten war zu lesen: „Schluß mit dem Krieg!“.

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