: Neues Forum am Scheideweg
Neues Forum ab September nur noch auf Länderebene/ Vertreter des Neuen Forums aus den fünf neuen Ländern trafen sich in Bernburg zum Bundesforum/ Zukunft des Neuen Forums ungewiß ■ Aus Bernburg Irina Grabowski
Seit gut anderthalb Jahren streiten sich die unterschiedlichen Strömungen im Neuen Forum über die Frage, ob sie sich mit den anderen ostdeutschen BürgerInnenbewegungen zusammenschließen sollen oder nicht.
Zunächst sah es so aus, als ob auch auf dem neuerlichen Bundesforum, das am Wochenende in Bernburg stattfand, lediglich festgeklopfte Positionen vorgeführt werden sollten. Der Antrag, eine wählbare politische Vereinigung mit dem Namen „Bündnis 90“ als Rechtsnachfolger des Neuen Forums zu bestimmen, wurde abgebügelt.
Bärbel Bohley pfeift auf die Wählbarkeit und die Arbeit „zufällig zusammengewürfelter“ Parlamentsfraktionen, die ohnehin keine Mehrheiten verändern könnten. Die Bürgerbewegungen machten sich doch lächerlich, wenn sie nicht langsam zur sozialen Bewegung würden. Und dazu brauche es keiner dem Parteiengesetz angepaßten neuen Organisation. Es reiche ein Neues Forum, das mit allen erdenklichen Interessenverbänden und Bürgerinitiativen am runden Tisch ein Netzwerk strickt.
Zweifelhaft ist, ob das in seiner Struktur schwer angeschlagene Neue Forum überhaupt in der Lage ist, die politikschlaffen BürgerInnen im Osten auf diese Weise in Bewegung zu setzen. Als Gruppe der „Herbstrevolutionäre“ von den großen Parteien gehätschelt, hat es im letzten Jahr nicht zuletzt durch die inneren Zwistigkeiten Tausende Mitglieder und inhaltliche Substanz verloren. Ganze Initiativgruppen haben sich, teils abgeschreckt vom Gerangel um Wahllistenplätze, aber auch, weil für sie das Neue Forum unnötig wurde, ausgeklinkt. Ein Viertel der etwas mehr als 7.000 Mitglieder reiben sich in der Parlamentsarbeit auf. Viele Gründungsaktive sind in die Parteien oder überregionalen Verbände abgewandert.
Eine solche Minderheit, klagt der Bundestagsabgeordnete vom Bündnis 90/ Grüne, Werner Schulz, könne personell und fachlich nicht einmal die wichtigsten Politikfelder abdecken. Die Bürgerbewegungen müßten sich sammeln und die Konsequenz daraus ziehen, daß ihnen mit dem Bündnis 90 zweimal gelungen sei, „den Fuß in einen kurzzeitig geöffneten Spalt einer an sich geschlossenen Gesellschaft“ zu setzen. Andernfalls verkümmere die Bewegung in Bürgerinitiativen, die auf kommunaler Ebene von der großen Politik erpreßt würden.
Anfang Februar hatten Demokratie Jetzt, Initiative für Frieden und Menschenrechte mit Zustimmung aus dem Neuen Forum die Gründung von Bündnis 90 für den Oktober dieses Jahres festgelegt. In Brandenburg läuft dazu bis Ende Mai eine Urabstimmung. Der Ausgang ist ungewiß. Aus einigen Basisgruppen wurde der Vorwurf an die mitregierende Landtagsfraktion laut, sie wolle die „Idee der Bürgerbewegung verwässern“ und das Neue Forum mißbrauchen, um für ihre „Machtpolitik eine Partei zu schmieden“ (Katja Havemann). Die Bündnis- Fraktion wehrt das als Unterstellung ab und setzt ihrerseits auf ein „Problembündnis“, das „an Sachfragen orientiert Politik machen will, die quer zum bestehenden Parteispektrum liegt“.
Partei oder Netzwerk sei für ihn nur eine Scheindiskussion, winkt Jochen Läßig vom Neuen Forum Sachsen ab. Das Forum habe sich juristisch gesehen schon längst Parteistrukturen gegeben.
Läßig sieht noch ein gewissermaßen psychologisches Problem. Wer stolzer Mitbegründer der Herbstbewegungen sei und stetig für die Eigenständigkeit des Neuen Forums gestritten habe, könne jetzt nur bei Strafe seines Untergangs diese Position verlassen. Wer Erster im Dorf sei, habe eben kein Interesse, Zweiter in der Stadt zu werden.
In Sachsen stimmten zwei Drittel der Forumsmitglieder für ein Bündnis mit allen BürgerInnenbewegungen und der Landesgruppe der Grünen, die sich nicht mit den West-Grünen vereinigt hatten. Ein Zusammengehen mit den Bundes-Grünen wird als „Treffen auf halber Strecke“ nicht ausgeschlossen.
Da die Fusion auf Landesebene gegen das bisherige Statut des Neuen Forums verstößt, beantragten die Vertreter Sachsens in Bernburg eine weitgehende finanzielle und Entscheidungsautonomie der Landesverbände. Der Antrag wurde angenommen. Wenn sich das Bundesforum wie vorgesehen im September auflöst, wird das Neue Forum sozusagen in Länderhoheit überführt. Damit ist der Weg frei für die Gründung von Bündnis 90 auf Landesebene.
„Es fehlt die Vision, die uns zusammenhält“, resümiert Bohley- Mitstreiter Reinhard Schult. Netzwerker, Bündnismacher und Grünen-Symphatisanten sollten sich friedlich trennen.
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