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Die Linke dreht sich um sich selbst

Podiumsdiskussion in Mainz unter dem Motto: „Die Linke neu erfinden“/ Gregor Gysi vermißt selbstkritische Fragen  ■ Aus Mainz Reinhard Mohr

Selbst Gregor Gysi hatte am vergangenen Freitag abend in der Mainzer Universität alle Mühe, auf die Eingangsfrage der grünen Moderatorin— „Gibt es Kritik an der Linken, was meinen Sie?“— zu antworten, ohne ins Stocken zu geraten oder unhöflich zu werden. Erst die zweite Frage— „Also, Sie sind zufrieden mit dem Zustand der Linken?“— riß ihn zu der Bemerkung hin, dies sei „eine interessante Zusammenfassung“ seiner Ausführungen. Nein, natürlich gebe es heute „mehr Fragen als Antworten“, aber „die Emanzipation des Menschen ist nach wie vor ein großes Ziel“. Die Linke dürfe nicht in purer Selbstbeschäftigung versinken.

Roland Appel, grüner Parlamentarier aus Nordrhein-Westfalen und Mitglied des „Linken Forums“, bekannte offen: „Die Linke ist frustriert“, und stellte gleich darauf die Frage: „Wo findet Linkssein eigentlich statt?“ Die Antwort gab der „Politprofi“ (Appel über Appel) selbst: „Natürlich in den sozialen Bewegungen, aber auch in den Gewerkschaften.“ Andererseits zeige der „Niedergang linker Projekte, die wir einmal aufgebaut haben, daß viele Linke ins System reingewachsen sind“. Als besonders abschreckendes Beispiel geißelte Appel die taz. Gesellschaftsveränderung finde selbstverständlich „außerhalb des Parlaments statt“, sagte der linke Parlamentarier. Links sein heiße somit, „auf der Seite der Emanzipation zu stehen“.

Jens-Christian Müller, Mitstreiter der „Ökologischen Linken“ und (noch) grünes Mitglied im Wiesbadener Stadtparlament, verwies am Beispiel des Golfkriegs auf den rechten „Sieg in den Köpfen“, der eine Zäsur markiere: „Die Grünen waren ein interessantes Experiment für viele Linke“, nun aber sei der Austritt die richtige Konsequenz, um „Gegendiskurse, andere Bilder von einem anderen Leben zu entwickeln“. Als ein Frankfurter PDS- Mitglied die Definition „Links ist lebensbejahend“ einwarf, sah sich der PDS-Vorsitzende Gysi genötigt, vor „allzu einfachen Definitionen und Beschreibungen“ zu warnen. Schon in der alten DDR habe man sich zuweilen sehr gewundert, wenn sich die Dinge anders darstellten, als in der Theorie ausgedacht.

Doch der westdeutsche Grüne Appel ließ sich keinen Zweifel anmerken. Mit Hilfe der Massenmedien, der Werbung und anderen Institutionen der Desinformation verschleiere „der Apparat“ die wahren Besitzverhältnisse und halte sie damit aufrecht. Dagegen müsse man ankämpfen und „die Aufklärung in die Köpfe kriegen“. Es sei ein Märchen, daß Karl Marx widerlegt sei, „nur weil der realexistierende Sozialismus gescheitert ist“. Heute müßten Linke „in diesem Land jedenfalls verfassungsfeindlich sein, um was zu verändern“. Wie tief die Krise das Kapitalismus sei, könne man auch daran erkennen, daß es ihm nicht einmal gelinge, in der Ex-DDR reibungslos die Marktwirtschaft einzuführen.

An dieser Stelle machte sich Unzufriedenheit im Publikum breit. „Ein Trauerspiel“ sei diese Diskussion, in der stets die „böse Welt“ für alles verantwortlich gemacht werde. Ein bekennendes SPD—Mitglied im Auditorium diagnostizierte: „Die Linken kommen einfach nicht rüber mit 'ner Bodenhaftung.“ Doch die Unnmutsäußerungen waren vergeblich. Die Frage nach einer Alternative zum Kapitalismus blieb ebenso unbeantwortet wie die Frage, wer der Linkeste im Saale sei. Inmitten der Ab- und Ausgrenzungsrituale war Gregor Gysi als einziger Realist genug, um die linke Unfähigkeit hervorzuheben, Fragen überhaupt zu stellen. Gleichwohl blieben auch seine Antworten im Nebel eines modernen, linken „Transformationsprozesses“, der eines Tages die Gesellschaft erfassen werde. Seine gemäßigte Verteidigung der Marktwirtschaft beruhte immerhin auf vierzig Jahren Planwirtschaft — „Wir haben sie selbst erlebt!“ —, während die westdeutschen Linken sich mit der Anklage der Perfidie des Kapitalismus begnügten. Als die Unzufriedenheit der 400 ZuhörerInnen weiter um sich griff (einer spöttisch: „Das ist doch hier eine ideologiekritische Veranstaltung, um zu beweisen, daß die Repräsentanten nichts mehr repräsentieren.“), verlegten sich die West-Linken auf Publikumsbeschimpfung: „Was Emanzipation ist, müßt ihr, verdammt, selber rauskriegen!“ konterte Appel, und nachdem der Ruf nach „Inhalten“ nicht verstummen wollte, wehrte sich auch Müller gegen die Zumutung, „Rezepte“ zu liefern: „Kämpfe finden ja massenhaft statt, in die sich Linke einklinken können.“

Als ein junger Mann schließlich bebauptete, der Marxismus-Leninismus erlebe in diesen Tagen „seine glorreichste Zeit“, ein anderer die grundsätzliche Theoriedebatte über die Entwicklung des Kapitalismus „von der formellen zur reellen Subsumtion“ vermißte, war Zeit für die „Schlußrunde“. Sie zeigte noch einmal, daß die real existierende Linke, wenn sie versucht, sich „neu zu erfinden“, immer wieder zu sich selbst findet.

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