: Nur Witwen profitieren vom neuen Rentenrecht
Opposition kritisiert Regierung und macht im Bundesrat mobil/ Zwei Millionen Frauen stehen sich schlechter als zu DDR-Zeiten ■ Von Anke Wienand
Berlin. Berlins Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) zeichnet ein düsteres Bild für Frauen. Bei einer Übertragung des westdeutschen Rentenrechts auf die ostdeutschen Länder zum 1. Januar 1992 profitieren nur Witwen. Frauen, die Anspruch auf eine eigene Rente haben und erst nach Auslaufen des sogenannten Vertrauensschutzes von 1995 an in den Ruhestand treten, müssen dagegen „mit erheblichen Einbußen“ rechnen.
Rund 1,9 Millionen eigenversicherte Frauen würden sich mittelfristig schlechter stehen. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, dann werden ab 1992 Zeiten für Kindererziehung und Altenpflege nicht mehr angerechnet. Die dem westdeutschen Rentenrecht gegenüber großzügigere DDR-Regelung fiele flach. Wurden bisher Jahre der Kindererziehung ebenso wie Berufsjahre bei der Rente angerechnet, soll in Zukunft nur noch alternativ entweder ein Baby- oder ein Berufsjahr berücksichtigt werden.
An diesem Punkt zieht Stahmer nicht mit. „Im Vertrauen auf die alten DDR-Regeln haben Millionen von Frauen ihren Lebensplan nach dem DDR-typischen Leitbild der berufstätigen Mutter aufgebaut. Viele von diesen vielfach schon älteren Frauen werden erst nach 1995 in den Ruhestand treten und dann eine nach der anderen ins Abseits der Armut gestellt.“ Eine solche Entwicklung, so Frau Stahmer, könne in dieser „historischen Stunde“ doch wirklich nicht Absicht sein.
Mit ihrem „Nein“ zum derzeitigen Gesetzentwurf steht die Berliner Politikerin nicht allein. Von einer „reinen Überstülpung“ westdeutschen Rechts auf die neuen Länder war bereits im Bundestag die Rede. Günstigere Regelungen aus der alten DDR vor allem für Frauen und zur Mindestsicherung als Mittel gegen Altersarmut würden einfach beiseite geschoben, kritisieren alle Oppositionsparteien.
Selbst die FDP bläst mittlerweile ins gleiche Horn. Der CDU-Politiker Heiner Geißler hingegen spricht von einer Rentenerhöhung. Habe die Durchschnittsrente im Schnitt am 30. Juni 1990 noch bei 493 Mark monatlich gelegen, so steige sie zum 1.Juli diesen Jahres auf 820 Mark.
Für die Berliner Sozialsenatorin Ingrid Stahmer ist dies „reine Augenwischerei“. Rechenbeispielen auf der Grundlage jetziger Rentenbeträge zufolge müßten Millionen von Frauen schon in einigen Jahren kräftig draufzahlen. Die Rente einer Frau des Jahrgangs 1930 mit drei Kindern und einem Ruhestand nach 38 Beschäftigungs- und sechs Erziehungsjahren, die erst 1995 nach der neuen Regelung in Pension geht, würde sich um mehr als ein Viertel verringern. Voraussetzung ist, daß die Frau nur 75 Prozent des DDR- Durchschnittlohns verdient hat. Eine durchaus realistische Bezugsgröße, da Frauen auch in der ehemaligen DDR im Schnitt weniger verdienten als Männer.
Aufgrund der befürchteten Verschlechterungen insbesondere für Frauen macht inzwischen auch der Bundesrat mit der SPD-Mehrheit der Länder gegen den Gesetzentwurf zur Rentenüberleitung mobil. Erst kürzlich wurde ein Antrag angenommen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, „den erreichten Stand der Alterssicherung der Frauen in den ostdeutschen Bundesländern zu erhalten“.
Für eine Übergangszeit könnten mit Blick auf „ein sozial erträgliches Zusammenwachsen im Sozialstaat Deutschland“ unterschiedliche Rechtsnormen bestehen. Möglichst bald sollten jedoch auf dem Wege zu einem einheitlichen Rentenrecht „weitere Schritte“ folgen, die die Ausweitung der derzeitigen auf die ostdeutschen Länder beschränkten Vorteile auch auf Versicherte in den Altbundesländern ausweiteten.
Die Länder wollten erreichen, daß Frauen nicht irgendwann einmal als Witwe eine gute Hinterbliebenenrente bekämen, sondern daß ein Rentenkonto aufgrund eigener Leistungen aufgebaut werden könne, sagte Frau Stahmer. Falls die Bundesregierung keine Verbesserungen vorlege, sei nicht auszuschließen, daß der Bundesrat im Juli — wie jetzt bei den Steuergesetzen — mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder den Vermittlungsausschuß anrufen werde. dpa/taz
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